(ps) Der allgemeine Fachkräftemangel ist ein großes Problem für die Wirtschaft – nirgendwo sind jedoch die Konsequenzen so gravierend, wie an den Schulen. Denn wenn die Schulen keine gut ausgebildeten Schüler*innen hervorbringen (können), dann hat das Auswirkungen auf alle Wirtschaftszweige parallel – der Nachwuchs stockt.
Nun hat die Bertelsmann Stiftung erfreuliche Neuigkeiten vorgestellt. Wenigstens für den Bereich der Grundschulen scheint ein Ende des Mangels in Sicht. Der Grund: die Geburtenrate ist in den letzten Jahren eingebrochen, um mehr als 100.000 Geburten. Somit kommen rechnerisch mehr Grundschullehrkräfte auf merklich weniger Schüler*innen. Bis 2035, also schon in elf Jahren, wird mit einem Überschuß von etwa 45.800 Lehrkräften gerechnet.
Noch gibt es keine Entspannung
Vorläufig bleibt die Lage jedoch angespannt. Noch im vergangenen Jahr war landauf, landab von teils massiven Problemen an den Schulen aufgrund von Lehrkräftemangel zu lesen. Im Oktober 2023 teilte beispielsweise der baden-württembergische Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) Gerhard Brand mit: „Über alle Schularten hinweg kommt es zu erheblichen Unterrichtsausfällen und tiefen Einschnitten im Schulalltag.“ Eine Lehrkraft einer Grund- und Mittelschule in Bayern äußerte: „Ein geregeltes Schulleben ist momentan nicht möglich.“ Kein Wunder: die Projektionen für das Jahr 2024 sahen im November einen Lehrkräftemangel an Grundschulen von 12.400 (Zahl der Kultusministerkonferenz) bis 26.000 (Zahl von Bertelsmann) voraus. Auch wenn bald weniger Grundschüler*innen nachrücken, sind nicht flächendeckend alle Grundschulen auf magische Weise mit Lehrkräften voll besetzt.
Gleichzeitig handelt es sich bei den neuen Zahlen auch nur um Projektionen. Angesichts der volatilen Weltlage bleibt es natürlich unklar, wie sich der Arbeitsmarkt weiterentwickelt. Auch macht nicht jede*r Studierende von heute am Ende einen Abschluß, und nicht jede*r Absolvent*in wird auch wirklich Lehrer*in. Unklar ist ferner, wie sich die Teilzeitquote entwickelt, die jüngst mit über 42 Prozent ein Zehnjahresrekord erreichte. Und etwa ein Fünftel der Lehrkräfte spielt u.a. angesichts der steigenden Arbeitsbelastung mit dem Gedanken an eine Frühpensionierung.
Überschuß oder Qualitätsoffensive
Sollte sich der Überschuß tatsächlich manifestieren, wäre das allerdings eine große Chance für die Grundschulen – sofern die Politik sie nutzt. Die Studienautoren betonen, dass das Überangebot nicht unbedingt zur Arbeitslosigkeit führe. „Durch die zusätzlichen ausgebildeten Lehrkräfte besteht eine große Chance, in die pädagogische Qualität an den Grundschulen zu investieren“, so Dirk Zorn, Bildungsexperte der Bertelsmann Stiftung. Allein: „Dieses Potenzial sollte die Politik unbedingt nutzen“ – ob sie es aber tut, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Die Studienautoren empfehlen, den „hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler:innen gezielter zu fördern“, ferner „Lehrkräfte im Grundschul-Ganztag zum Einsatz kommen“ zu lassen, und schließlich „einen Teil der Lehrkräfte in den Jahrgangsstufen fünf und sechs einzusetzen, wo weiterhin viele Lehrer*innen fehlen.“ Allgemein wäre zudem wünschenswert, die Klassengrößen zu reduzieren, um eine bessere Betreuungsrelation zu erreichen. Hier bietet sich also erstmals seit vielen Jahren die Chance, statt nur den Mangel zu verwalten, eine Qualitätsoffensive für die Grundschulen zu gestalten. Mithin mahnt die Bildungsforschung seit Jahren, dass in den Grundschulen die Weichen für den gesamten weiteren Bildungsweg der Kinder gestellt werden.
Quellen:
Bertelsmann Stiftung: Der Lehrkräftemangel an Grundschulen ist bald überwunden: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/januar/der-lehrkraeftemangel-an-grundschulen-ist-bald-ueberwunden
Tagesschau: Bald genug Lehrkräfte an Grundschulen?: https://www.tagesschau.de/inland/studie-grundschullehrer-100.html
News4Teachers: Lehrermangel: An vielen Schulen (vor allem: Föderschulen) kein Regelbetrieb mehr möglich: https://www.news4teachers.de/2023/10/lehrermangel-an-vielen-schulen-vor-allem-foederschulen-kein-regelbetrieb-mehr-moeglich/
Merkur: Nur noch „Kinderaufbewahrung“, jede Woche neue Stundenpläne: Lehrer berichten über ihren Chaos-Alltag: https://www.merkur.de/lokales/ebersberg/mittelschulen-ebersberg-lehrermangel-grundschulen-92175070.html
Unicum: Lehrermangel: Wo ab 2024 die meisten Lehrkräfte fehlen!: https://karriere.unicum.de/lehrer/lehrermangel-2024
30.01.2024