(ps) In China gibt es, wie in vielen Ländern der Welt, Schuluniformen – doch das sind bereits seit den 1990er Jahren: Jogginganzüge. Sie sind günstig und sollen ein Team-Gefühl vermitteln. So tragen also die 150 Millionen chinesischen Schüler*innen gewissermaßen staatlich verordnet jeden Tag Jogginghose. In Deutschland, wo die Schuluniform hauptsächlich aus historischen Gründen abgelehnt wird, dürfen die Schüler*innen im Allgemeinen anziehen, was sie wollen. Näheres können die einzelnen Schulen in der Schulordnung festlegen – doch dieser Vorgang ist so ungewöhnlich, dass hier praktisch jede Maßnahme eine Debatte in der Öffentlichkeit nach sich zieht. So auch nun, da eine Schule im Bergischen Land ein Verbot der Jogginghose durchsetzen will.
Freizeitlook als Respektlosigkeit?
„Lokalzeit“ in Wermelskirchen: Es ist ein bewölkter Tag, als das Fernsehteam des WDR die Schule besucht, empörte Eltern und Schüler*innen interviewt. Auch der didaktische Leiter der Schule, Moritz Lohmann, tritt vor die Kamera. Er trägt ein weißes kurzärmliges T-Shirt und kombiniert dazu einen dünnen grauen Schal, den er mit einer Schlaufe eng an den Hals gezogen hat. „Das Leben ist nicht nur Komfort und Bequemlichkeit“, sagt er, und: „Es gibt einen Unterschied zwischen ‘Zuhause auf der Couch‘ und ‘in der Schule‘“. In diesem Sinne wolle man mit der Kleiderordnung die Schüler*innen dazu bringen, eine „Arbeitshaltung einzunehmen“ um sie „auf das Leben vorzubereiten.“ Lohmann nennt das eine „Erziehungsmaßnahme“.
Ganz ähnlich sieht das auch Schulleiterin Daniela Steffens vom Berufskolleg Siegburg. Sie sagt dem WDR, es gehe um „Haltung“ – angefangen damit, wie die Schüler*innen im Unterricht am Tisch sitzen. Ein Schüler, der seine Jogginghose mit „ist doch nur Schule“ verteidigte, ist auch schon nach Hause geschickt worden. Schließlich sei die Schule nicht weniger wert als der Betrieb, zu dem der Schüler ja auch ordentlich gekleidet ginge. Auch bei früheren Verbotsfällen führten die Lehrkräfte stets ins Feld, Jogginghosen seien keine angemessene Bekleidung in der Schule. In Rottenburg bei Tübingen schrieb der Rektor 2019 in die Schulordnung: „Wir kleiden uns in der Schule angemessen. Unsere schulische Kleidung unterscheidet sich von unserer Freizeitkleidung.“
Genau am Wörtchen „angemessen“ scheiden sich jedoch die Geister – auch in anderer Hinsicht. „Man muss sich fragen, ob eine Jogginghose wirklich den Schulfrieden gefährdet und einen Ausschluss rechtfertigt“, sagt Julius Lachmann von der Landesschülervertretung NRW dem Münchner Merkur. Auch den in Wermelskirchen umgesetzten Unterrichtsausschluss bei Zuwiderhandlung halte er nicht für den richtigen Weg. Deutlicher wird eine Wermelskirchener Mutter im WDR: sie findet, es sei eine „Frechheit, dass die Kinder wegen einer Jogginghose die Schule verlassen müssen“.
Modetrend verschlafen?
Die Verteidiger*innen der Jogginghose führen ins Feld, dass so nun mal der Lauf der Dinge ist: Jogginghosen seien in der High Fashion angekommen, es gibt sie von Gucci, von Prada, und sogar bei Karl Lagerfeld kann man sie kaufen, dessen berühmtestes Zitat bekanntlich lautet: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Mithin sei die Jogginghose zu einer verbreiteten Mode geworden, die auf Pariser Laufstegen präsentiert wird und längst nicht mehr die Gammelklamotte für das Sofa am Sonntag ist. Sich nun über dieses Kleidungsstück zu empören und es auf diese Weise zu problematisieren, sei der Sache nicht angemessen. Dem WDR sagt eine Schülerin, die Jogginghose, auch der Jogginganzug, sei „in der Jugend einfach total das Ding geworden“, ein „Modestück“.
Darüber hinaus ist die Liste der gekommenen und wieder verschwundenen Modetrends, über die man sich empörte, lang. In den 50ern reichten Jeans, Lederjacke und gegelte Haare um als Rebell zu gelten. Für Moritz Lohmann und sein weißes T-Shirt interessant: Selbiges gehörte auch zum 50er-Rebellen-Look – es „war damals eine Provokation, denn bis dato wurde es meist nur als Unterhemd getragen“, heißt es im NDR Kultur dazu. Als der Minirock aufkam, sahen manche schon das Ende aller Zivilisation heraufziehen, in den ‘80ern gab es die Punks, in den ‘90ern kamen die baggy pants auf und alle Welt empörte sich, dass der Hosenbund um die Knöchel zu hängen schien. Bauchfreie Tops wurden modern und dann immer kürzer, auch da ein Aufschrei, auch das heute weitgehend vorbei. Mode wurde immer wieder zum Gegenstand kritischer Vorhersagen zum Ende von Anstand, Moral und Respekt, am Ende untergegangen ist die Welt jedoch bislang noch nicht.
Jogginghose als Politikum
Einige Stimmen schreiben der Jogginghose sogar eine gesellschaftspolitische Dimension zu: Sie zu tragen sei heute „Ausdruck einer unverkrampften Lebenshaltung, die sich kaum darum schert, überkommenen Maßstäben zu entsprechen“, wird Kultur- und Modesoziologe Lutz Hieber in der Deutschen Welle zitiert. Die Autorin Margarete Stokowski schrieb 2019 im Spiegel zu Debatte, hier spiele auch „Klassenhass“ und „Armutsverachtung“ eine Rolle. Sie argumentiert, dass die Jogginghose nicht zuletzt mit den „sogenannten unteren Schichten“ verknüpft werde – wer Jogginghose trage, aus dem könne nichts werden. Dabei gebe es kaum etwas Schlimmeres, „als zu fordern, dass [die Jugendlichen] sich verstellen sollen, um bei Autoritäten gut anzukommen.“
Wie immer wird natürlich heißer gekocht, als gegessen. Zwar kann der Jogginghose durchaus diese politische Dimension zugeschrieben werden – ob es jedoch den Schüler*innen und den Lehrkräften darum geht, oder ob ihnen diese Auslegungen überhaupt bewusst sind, darf man durchaus bezweifeln. Es bleibt jedoch die Frage, was mit einem Jogginghosen-Verbot gewonnen ist. Bringt es einen fassbaren Gewinn für den Unterricht oder befriedigt es lediglich die von der naturgemäß älteren Lehrkräftegeneration erlernten Modekonventionen? „Niemand“, schreibt Stokowski, „lernt binomische Formeln oder Gedichtanalyse besser, weil er bestimmte Kleidung trägt.“ Vielmehr lerne man besser, wenn man sich in der Kleidung wohl fühle. Aber: „Schulzeit ist Arbeitszeit, daher hat die Jogginghose dort keinen Platz“, sagt die Deutsche Knigge-Gesellschaft.
Alles zu seiner Zeit
Hier wird langsam deutlich, worum es in dieser Debatte auch geht: Was für ein Ort ist die Schule überhaupt und wie verhalte ich mich dort? Die Verbotsbefürworter*innen argumentieren, dass die Schule zwar „ein Schutzraum, aber keine Komfortzone“ sein soll, wie Lohmann es formuliert. Schule sei Arbeitsvorbereitung und man müsse lernen, sich entsprechend zu verhalten – und das gehe nicht in einer bequemen Jogginghose. Die Schule sei schließlich nicht weniger wert, sagt Steffens, als ein Betrieb, zu dem man ja auch ordentlich bekleidet gehe.
Einstweilen will die Schule in Wermelskirchen trotz der Kritik am Jogginghosen-Verbot festhalten – und sie ist mit dem Verbot auch nicht alleine. Die Debatte wird also weitergehen. Dabei ist ein durchaus erfreulicher Aspekt aber bislang untergegangen: Selbst der nach Hause geschickte Schüler von Daniela Steffens habe gesagt, im Betrieb ziehe er sich natürlich anders an. Das bedeutet eben auch: Ihm ist durchaus bewusst, dass es für unterschiedliche Orte unterschiedliche Dresscodes gibt – und Ausbildungs- und Arbeitsplatz gehören dazu. Auch auf unseren vocatium-Messen animieren wir die Schüler*innen, sich dem Anlass entsprechend anzuziehen. Und viele setzen dies auch um: Man sieht sogar an Jungen wie Mädchen, Sakkos oder Blazer und weiße Oberhemden bzw. Blusen – es ist also noch nicht aller Tage Abend.
Quellen:
https://www.ndr.de/kultur/buch/Bildschoene-Buecher-The-Devils-Wardrobe,rebelswardrobe106.html
https://www.dw.com/de/jogginghose-verbot-schule/a-65135695
https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-story-54849.html
https://www1.wdr.de/nachrichten/sekundarschule-in-wermelskirchen-streit-wegen-jogginghose-100.html
https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Jogginghosen-gehoeren-auf-die-Couch-407981.html
https://www.merkur.de/welt/jogginghosen-verbot-an-schule-sorgt-fuer-aerger-zr-92164095.html
31.03.2023