vocatium magazin

Unterricht und Schule

"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt"

Spiele in Schule und Freizeit

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Spielen gehört zu den Grunderfahrungen eines jeden Menschen. Dennoch oder vielleicht deshalb, ist Spielen bis auf wenige anerkannte Ausnahmen wie Schach weitgehend eine Privatangelegenheit. Dabei hat Spielen in jedem Lebensalter positive Effekte. Selbst die oft verschrienen Computerspiele können Lernleistungen verbessern, sofern auf einen verantwortungsvollen und zeitlich begrenzten Umgang geachtet wird.

 

(ps) Jüngst stellte die Fa. LEGO ihren internationalen "Play Well Report 2022" vor und kommt zu dem Ergebnis, dass Spielen eine wichtige Rolle für die Psychohygiene spielt. Vor allem helfe es, abzuschalten. Bei Kindern und Jugendlichen sei dies "hilfreich, um sich zu entspannen und nach der Schule auf andere Gedanken zu kommen". Bei Erwachsenen könne es sogar Burn-out vorbeugen, und für Familien fördere "Spielen das Glück und Wohlbefinden" sowie "die Bindung zueinander". Dabei steht die Studie auf breiten empirischen Füßen: Fast 60.000 Menschen weltweit wurden für die Studie befragt, in Deutschland im Rahmen einer repräsentativen Befragung von 1.760 Menschen – Eltern und Kinder. 

Die Ergebnisse des "Play Well Reports" decken sich mit dem bisherigen Stand der Forschung. Dennoch haben es Spiele  an Schulen oft schwer. Bestenfalls kommen explizit "Lernspiele" zum Einsatz, deren Attraktivität schon bei der Bezeichnung für Schüler*innen perdu ist. Christina Berggruen formuliert es für den SWR so: "Die Unterscheidung zwischen 'sinnlosem Spiel' und 'ernsthaftem Lernen' ist in der westlichen Kultur tief verwurzelt. Dabei zeigen Studien, dass der Mensch gerade beim Spielen sehr viel lernt." Das geht los bei grundlegenden "Kernkompetenzen wie Kommunikation und Kreativität" (Play Well Report), Kinder erfahren ferner "Kontrolle und 'Selbstwirksamkeit'" und lernen, "Emotionen und Handlungen zu steuern", so Berggruen. Doch auch konkreter Lernstoff wird vermittelt.

Die LEGO-Studie blickt naturgemäß auf sozusagen "analoges" Spielen, also Spiele ohne Computernutzung. Und während dies in der Regel auf Wohlwollen stößt, muss sich die Computerspielebranche noch immer gegen Vorwürfe verteidigen, ihre "Spiele machen blöd, aggressiv" und seien gesundheitsschädigend, wie Der Standard aus Wien es formuliert. Dabei zeitigen Computerspiele ähnlich positive Effekte wie analoge Spiele. In Zeiten von Online-Multiplayer-Spielen kommt selbst die Sozialkompetenz nicht mehr zu kurz. 2021 konnten spanische Forscher ferner nachweisen, "dass Personen, die seit ihrem 14. Lebensjahr einige Stunde pro Woche [Computerspiele] gespielt haben, verbesserte Gehirnfunktionen in Bezug auf Gedächtnis, 3D-Raumverständnis und Reaktionszeit mit ins Erwachsenenalter nehmen."

Computerspiele als Lernfaktor

In einem Modellprojekt der Stiftung Digitale Spielkultur, das jüngst an Berliner Schulen durchgeführt wurde, zeigte sich deutlich, dass auch kommerzielle Spiele gewinnbringend im Unterricht eingesetzt werden können, selbst ein Spiel wie "Mario Kart." Ihr Einsatz führe "zu einem von Lehrkräften und Medienpädagog*innen wahrgenommenen Lernzuwachs bei den Schüler*innen." Die Schüler*innen habe der "Einsatz von Games im Unterricht überzeugt", und die meisten Lehrkräfte "waren der Meinung, dass die durchgeführten Unterrichtseinheiten gut funktioniert haben." Die Schüler*innen seien motivierter und engagierter gewesen, und die projektbegleitenden Medienpädagog*innen zeigten sich ebenfalls von den Projektergebnissen überzeugt. 

Eine Studie aus Australien hat bereits 2016 festgestellt, dass die Computer(spiele)nutzung in der Freizeit messbare Auswirkungen auf die Schulnoten hat. Für die Studie wurden die PISA-Ergebnisse für 12.004 australische 15jährige hinsichtlich ihres Online- bzw. Computernutzungsverhaltens ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass jene, die in ihrer Freizeit hauptsächlich mit sozialen Medien und online-Chats verbringen schlechtere Noten haben, als jene, die hauptsächlich online Computerspiele spielen – besonders in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Gründe sieht der Studienautor darin, dass solche Spiele auch Schulwissen erfordern, weiterhin müssten Rätsel u.ä. gelöst werden, um in den Spielen weiterzukommen. Jüngere Studien deuten ferner darauf hin, dass die Struktur sozialer Medien sich negativ auf die Konzentrationsleistung der Jugendlichen auswirkt, wohingegen Computerspiele teilweise lange Konzentrationsphasen erfordern. 

Ebenso wie das Modellprojekt der Stiftung Digitale Spielkultur kommt auch die australische Untersuchung zu dem Ergebnis, dass nicht zuletzt kommerzielle Spiele sinnvoll für Lernleistung und Unterricht sein können und empfiehlt, sie gezielt für Unterrichtsaktivitäten einzusetzen. In Deutschland gibt es hierfür allerdings nach wie vor Nachholbedarf hinsichtlich der technischen und lizenzrechtlichen Ausstattungen der Schulen. Beispielsweise für das Berliner Modellprojekt mussten "sechs der zehn teilnehmenden Schulen mit zusätzlicher Hardware
wie Tablets oder mobilen Internetroutern ausgestattet werden." Sind diese Hürden überwunden, bietet die Digitalisierung der Schulen offenbar viele Möglichkeiten, spielend und spielerisch zu lernen.

Draußen Spielen nicht vergessen!

Während sich also langsam die Erkenntnis durchsetzt, dass digitales Spielen gar nicht so schlimm ist, wie manchmal behauptet, muss man auf der anderen Seite feststellen, dass analoges Draußen-Spielen, sei es als Kind auf dem Spiel- oder als Jugendliche*r auf dem Sportplatz, immer weniger praktiziert wird. Während 1990 noch drei Viertel der Kinder nach der Schule draußen spielten, seien es heute lediglich ein Viertel, so Berggruen. Da zeigt sich natürlich die Konkurrenz durch digitale Spiele, aber auch das schiere Fehlen ausreichender Freizeitflächen. Eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigte bereits vor einigen Jahren, dass es "um die Spielmöglichkeiten von Kindern schlechter bestellt ist als je zuvor." Ein Vergleich verschiedener Wohnquartiere habe ergeben, dass die Spielzeit der Kinder in schlecht bzw. gut ausgestatteten Wohnvierteln zwischen 17 bzw. 106 Minuten schwanken kann. 

Auch dies hat messbare Auswirkungen auf die Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen. Im "freien Spiel" werden beispielsweise Sozialkompetenz erworben, aber auch motorische und kognitive Fähigkeiten entwickelt. "Gute Matheergebnisse erzielen nicht Kinder, die besonders viel Matheaufgaben üben, sondern die gut auf Bäume klettern und balancieren können," pointiert das Deutsche Kinderhilfswerk. So sieht es auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): "Bei Kindern sind Spielen und Lernen zwei Seiten ein und derselben Medaille." Hier sei vor allem das "freie Spiel" nutzbringend, bei dem es keine Regelvorgaben (von Erwachsenen) gibt. Folglich kommt die BZgA auch zu dem Schluss: "Lernspiele braucht Ihr Kind nicht." So ist es in jedem Alter wichtig, das Spielen nicht zu vergessen.


Quellen:

https://www.presseportal.de/pm/65052/5269961 

https://ijoc.org/index.php/ijoc/article/view/5586/1742 

https://www.swr.de/swr2/wissen/was-der-mensch-beim-spielen-lernt-100.html 

https://www.dkhw.de/schwerpunkte/spiel-und-bewegung/studie-raum-fuer-kinderspiel/ 

https://www.dkhw.de/fileadmin/Redaktion/1_Unsere_Arbeit/1_Schwerpunkte/4_Spiel_und_Bewegung/4.3_Studie_Raum_fuer_Kinderspiel/Erste_Ergebnisse_Studie_Mehr_Raum_fuer_Kinderspiel.pdf 

https://www.stiftung-digitale-spielekultur.de/app/uploads/2022/01/Factsheet_Games-machen-Schule_Berlin-1.pdf 

https://www.saarbruecker-zeitung.de/pr/presseportal/wir-spielen-noch-nicht-genug-studien-unterstreichen-es-ist-dringend-noetig-mehr-spiel-in-den-alltag-zu-integrieren-fuer-kinder-familien-und-fuer-erwachsene_aid-72735477 

https://www.kindergesundheit-info.de/themen/spielen/hauptsache-spielen/entwicklungsfoerderung/ 

https://www.derstandard.de/story/2000128187542/warum-videospiele-nicht-dumm-aggressiv-und-krank-machen 

 https://www.spieletipps.de/n_49070/ 

https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.428684.de/13-40-3.pdf 

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