IfT: Herr Dietz, Sie sind Sachgebietsleiter „Nachwuchsförderung und Lehrlingsrolle“ bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Ich könnte mir vorstellen, dass das derzeit kein ganz leichter Job ist – vom Nachwuchs- und Fachkräftemangel, der ja alle Branchen betrifft, kann man seit Jahren überall lesen und auch in Bayern ist das ein Problem.
Womit kann das Handwerk im Wettbewerb um den Nachwuchs aus Ihrer Sicht besonders punkten?
Alexander Dietz: Der große Pluspunkt beim Handwerk ist, dass man den jungen Leuten einfach aufzeigen kann, was für ein wichtiger Faktor unser Wirtschaftsbereich in Deutschland ist – etwas, das wir jeden Tag brauchen. Viele vergessen, dass wir jeden Tag beim Bäcker oder Metzger einkaufen gehen, in Häusern leben, die Handwerksbetriebe gebaut haben oder unser Auto zur Reparatur in die Werkstatt bringen. Handwerk kommt überall vor, ohne Handwerk steht hier alles still. Wir können den jungen Menschen aufzeigen: Wenn du ins Handwerk kommst, bekommst du eine Top-Ausbildung, bist nah am Kunden und siehst am Ende des Tages auch, was du geleistet hast. Das ist für viele etwas ganz Besonderes.
„Die Betriebe stellen fleißig ein und die Nachfrage bei den jungen Leuten ist groß.”
IfT: Wie sieht die aktuelle Situation am Ausbildungsmarkt aus?
Dietz: In diesem Jahr ist die Ausbildungssituation – insbesondere in Oberbayern – ausgesprochen gut: Die Betriebe stellen fleißig ein und die Nachfrage bei den jungen Leuten ist groß. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird es ein sehr gutes Ausbildungsjahr für das Handwerk, vielleicht erleben wir aktuell sogar eine Trendwende hin zur beruflichen Bildung. Ich bin da sehr optimistisch.
IfT: Was sind die größten Probleme oder Hindernisse bei der Nachwuchsgewinnung im Handwerk?
Dietz: Das größte Problem besteht momentan darin, dass viele junge Leute die Berufe nicht kennen und nicht genau wissen, was man damit eigentlich macht. Wie so ein Arbeitstag aussieht, welche Perspektiven man nach der Ausbildung hat, dass man damit relativ einfach den Weg in die Selbstständigkeit findet, aber auch in den Betrieben einen sicheren Job bekommt. Es ist wichtig, den Jugendlichen zu zeigen: Wir haben im Handwerk mehr als 130 Ausbildungsberufe – und jeder davon ist individuell, spannend und zukunftssicher. Für jedes Talent und jedes Interesse ist etwas dabei! Unsere Aufgabe besteht darin, die jungen Leute über sämtliche Kanäle über die hervorragenden Möglichkeiten im Handwerk zu informieren und dafür zu sorgen, dass sie sich mit den Chancen, die eine Berufsausbildung bietet, auseinandersetzen.
„Das Spannende am Handwerk ist, dass man aus dem Betrieb rauskommt und sieht, wie eins mit dem anderen zusammenhängt.”
IfT: Wenn man dann so am Stöbern ist, kann man manchmal eine Ausbildung finden, die für Industrie und für Handwerk angeboten wird. Beispielsweise beim Elektroniker ist das so, da gibts dann „Elektroniker (Handwerk)“ und „Elektroniker (Industrie)“. Was hat es damit auf sich? Ist das nur eine Frage des Ausbildungsbetriebs?
Dietz: Der Elektrobereich ist ein gutes Beispiel. Da gibt es sehr viele Ausbildungsberufe, die alle recht ähnliche Namen haben, aber in ihren Tätigkeiten völlig unterschiedlich sind. Beim „Elektroniker (Industrie)“handelt es sich um einen Elektroberuf mit einer Grundausbildung, die für alle gleich ist – aber mit dem großen Unterschied, dass man vor allem im Industriebetrieb viele Arbeiten intern erledigt und im Prinzip nicht herauskommt. Im Handwerk ist es der Elektroniker – mit den verschiedenen Fachrichtungen – der bei den Kunden ist, Hausinstallationen durchführt, mit Smarthome und Internet alles vor Ort abwickelt. In der Industrie sind Elektroniker für Betriebstechnik im Haus unterwegs, aber nicht beim Endkunden. Das Spannende am Handwerk ist, dass man aus dem Betrieb rauskommt und sieht, wie eins mit dem anderen zusammenhängt. Am Ende des Tages können die Handwerker sagen: Super, das habe ich heute gemacht und es funktioniert! Das ist der große Unterschied.
IfT: Das Handwerk bietet eine Reihe sehr beliebter Ausbildungen an, die auch in den Rankings teilweise weit oben stehen. Darüber hinaus gibt es auch ganz neue Trends im Handwerk, die begeistern – Stichwort: Klimahandwerker.
Aber was sind eigentlich Klimahandwerker? Was kann ich mir darunter vorstellen?
Dietz: Damit sind vor allem Handwerker gemeint, die die Energie- und Klimawende konkret umsetzen sollen. Neben dem bereits erwähnten Elektroniker haben wir den Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik als wichtigen Beruf in diesem Bereich, aber auch den Kaminkehrer, der hierbei ein ganz bedeutender Faktor ist. Letztlich sind es nämlich die Handwerksunternehmen, die die Energiewende umsetzen müssen.
IfT: Die Klimahandwerker sind ein Beispiel, aber auch neue Entwicklungen wie KI oder der 3D-Druck bringen neue Herausforderungen und Chancen. Wie sieht die Zukunft des Handwerks aus? Welche Entwicklungen sehen und erwarten Sie hier?
Dietz: Der 3D-Druck ist schon seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil in Unternehmen, die mit Modellen arbeiten. Zum Beispiel im Zahntechniker- und Modellbauerhandwerk. Diese Technik gehört in vielen Berufen fest dazu. KI wird im Handwerk künftig vor allem unterstützend eingesetzt werden, beim Schreiben von Angeboten oder der Rechnungsstellung z.B. Keine künstliche Intelligenz wird jedoch die Arbeit der Handwerkerinnen und Handwerker vor Ort ersetzen können. Um eine Heizungsanlage zu installieren, braucht es einfach den Menschen.
„Das Beste, was du nach deiner Schulzeit machen kannst, ist eine Ausbildung!”
IfT: Nun haben wir über das Handwerk im Allgemeinen gesprochen – jetzt würde ich gerne noch mal konkret werden und einen Blick auf die Lage vor Ort werfen. Im Vergleich der Bundesländer liegt Bayern bei der Zahl der Handwerksbetriebe auf Platz 1 und innerhalb Bayerns liegt die Region München/Oberbayern, also ihr Zuständigkeitsgebiet, ebenfalls auf Platz 1. Sie können also aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Welche Fragen treiben die Jugendlichen bei Ihnen in der Region um und was sind die größten Trends?
Dietz: Was viele junge Leute umtreibt, ist die Frage: Was ist der sinnvollste Weg nach meiner Schulzeit? Wir erleben leider viel zu oft, dass sich junge Leute gegen eine Ausbildung entscheiden, und weiter zur Schule gehen, weil es bequem ist oder 20 andere aus der Klasse es auch so machen. Diesen Gedanken nehmen wir auf und sagen ganz selbstbewusst: Das Beste, was du nach deiner Schulzeit machen kannst, ist eine Ausbildung! Ich glaube, dass viele Schülerinnen und Schüler nach 10, 12 oder 13 Schuljahren an den Punkt gelangen, an dem sie sagen: Ich will jetzt mal etwas anderes machen. Ich will mein eigenes Geld verdienen und neue Dinge lernen. Mit einer Ausbildung wagen sie den Schritt hinein ins Berufsleben. Oft wird vergessen, dass man in der Ausbildung Dinge fürs Leben lernt und sich die jungen Leute auch persönlich weiterentwickeln und das Arbeiten lernen. Irgendwann kommt der Tag, an dem die Schule oder das Studium vorbei ist und alle arbeiten müssen. Vielleicht habe ich die schulischen Voraussetzungen für ein Studium, aber mache nach meiner Schulzeit trotzdem erst mal eine Ausbildung, weil ich mein eigenes Geld verdienen und unabhängig von meinen Eltern sein möchte. Diese drei Jahre Berufserfahrung nimmt mir keiner mehr. Für die meisten jungen Leute, die wir auf diesem Weg begleiten, ist die Lehre das Beste, was ihnen passieren konnte. Viele sind mit Begeisterung dabei! Für sie ist die Ausbildung eine schöne und spannende Zeit. An diesen Punkt müssen wir die jungen Leute bringen, damit sie sich mehr mit der Ausbildung als Alternative zu Schule und Studium befassen.
„Alle Handwerksberufe sind auch für junge Frauen geeignet!”
IfT: Viele Handwerksberufe assoziiert man ja eher mit Männerberufen – der Frauenanteil unter den Handwerksazubis liegt bei um die 18 Prozent. Das ist natürlich gerade mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung sozusagen ein ungehobener Schatz. Wie steht es um die Frauenförderung im Handwerk und welche Potenziale sehen Sie da?
Dietz: Alle Handwerksberufe sind auch für junge Frauen geeignet! Das gilt auch für Berufe, die gewisse körperliche Voraussetzungen erfordern. Bei den Maurerinnen, Schreinerinnen und Zimmererinnen gibt es mittlerweile so viele technische Hilfsmittel, dass sie auch von jungen Frauen ausgeübt werden können. Auf der Baustelle können sie problemlos mit den Männern mithalten. Auch bei den Kaminkehrerinnen und – etwas seltener – im Elektro- und Kfz-Bereich gibt es immer wieder junge Frauen, die sich ganz bewusst für diese Berufe entscheiden und sagen: Das Thema „Auto“ oder „Strom“ ist genau mein Ding! Die beste Werbung für einen bestimmten Beruf ist, wenn Sie Testimonials haben, die sagen: „Das ist genau meins!“ Umgekehrt gibt es natürlich auch Berufe, die zu 80 Prozent mit Frauen besetzt sind und bei denen die Männer erstmal sagen: Das ist nichts für mich. Aber vor allem beim Friseurberuf hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Dort sind viele junge Männer dazugekommen, die gerade erst in unser Land gekommen sind, in ihrer Heimat aber als Friseur tätig waren.
„Handwerkerinnen und Handwerkern geht es finanziell gut.”
IfT: Neben der Frage, was sie eigentlich werden möchten, interessiert viele Jugendliche natürlich auch sehr, was das Ganze am Ende abwirft. Ein altes Sprichwort sagt „Handwerk hat goldenen Boden“ und meint, man kann im Handwerk gutes Geld verdienen. Wie sehen die Einkommensperspektiven und die Karrierechancen im Handwerk aus? Hat das Sprichwort noch recht?
Dietz: Auf jeden Fall! Dieses Sprichwort trifft nach wie vor zu, vielleicht sogar mehr denn je. Handwerkerinnen und Handwerkern geht es finanziell gut. Die Betriebe suchen händeringend Fachkräfte und wissen oft gar nicht, wo sie zuerst mit der Arbeit anfangen sollen. Nach der Lehre geht´s dann nach oben auf der Karriereleiter, mit Weiterbildungen oder der Meisterprüfung. Mit dem Meistertitel hat man hervorragende Möglichkeiten, ob es sich nun um eine Führungsposition im Betrieb handelt oder man sagt: Ich habe gute Ideen und mache mich selbstständig. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einen vorhandenen Betrieb zu übernehmen. Derzeit suchen viele Betriebe, die gut am Markt eingeführt sind und viele Kunden haben, eine neue Chefin oder einen neuen Chef. Wir brauchen dringend mehr Leute, die sagen: Ich mache mich mit einem Betrieb selbstständig oder steige irgendwo ein.
IfT: Die Meisterprüfungen sind in Bayern ja auch ab Herbst 2024 kostenfrei. (Die Meisterfortbildung ist seit Anfang 2023 in Bayern im Prinzip kostenfrei)
Dietz: Ja, damit hat Bayern ein Alleinstellungsmerkmal. Die Meisterschulen sind voll. Es ist wichtig, dass wir genügend Meisterinnen und Meister haben: Schließlich bilden diese den Berufsnachwuchs von morgen aus.
IfT: Wir kommen zur letzten Frage: In Bayern haben sich eine Reihe regionsspezifischer Handwerksbetriebe erhalten, als bekanntes Beispiel vielleicht die Lederhosenmacher, von denen es immer noch eine ganze Reihe gibt. Wenn ich mich ein bisschen für die selteneren Berufe interessiere: Welche regionalen Besonderheiten kann man bei Ihnen in München und Oberbayern finden?
Dietz: Da gibt es einiges. Neben dem Lederhosenmacher gibt es auch Trachtenschneider oder Hutmacher, Modisten genannt, die die entsprechenden Hüte anfertigen. Außerdem gibt es in München z.B. noch einen Betrieb, der Holzfässer fürs Oktoberfest herstellt und hierfür den Böttcher bzw. Fassmacher, der bei uns auch Fassler oder Schäffler genannt wird, ausbildet. Aktuell haben wir außerdem noch zwei Wachszieher, also Kerzenmacher, sowie einen Müller in Ausbildung. Es gibt immer mal wieder solche seltenen Ausbildungsberufe, die ich sehr spannend finde. Vor allem im Bereich der Mühlen ist der Beruf auch besonders nachhaltig, weil er mit der Frage verbunden ist, wie regionale Produkte hergestellt werden.
Vielen Dank für das Interview!
02.10.2024