(ps) Einen „Pisa-Schock“ gab es schon mal: im Jahr 2000 (Erhebungsjahr) bzw. 2001, als die erste Pisa-Studie veröffentlicht wurde. Bis dahin fand sich das deutsche Schulsystem ziemlich toll und hat nicht ohne eine gewisse eitle Borniertheit auf die Schulsysteme anderer Länder herabgesehen – insbesondere die USA waren damals ein beliebtes Ziel und kultureller Antiamerikanismus lag sowieso im Trend. Die Amis könnten beispielsweise ihr eigenes Land nicht mal auf einer stummen Weltkarte finden, spottete man, und hätten auch sonst keine Allgemeinbildung – ganz anders ja Deutschland mit seiner humanistischen Tradition! Dann kam die Pisa-Studie, und es zeigte sich: nicht nur war Deutschland in den getesteten Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften durch die Bank weg schlechter, als die USA – es lag auch im weltweiten Vergleich abgeschlagen im unteren Drittel.
Der zweite Pisa-Schock
So gut bestellt war es also gar nicht um die deutschen Schulen. In den Folgejahren sind dann allerdings die deutschen Ergebnisse besser geworden – bis 2012. Schon 2015 ging es, außer bei der Lesekompetenz, bereits wieder bergab. Und die nun vorgestellten Ergebnisse lösen nicht ohne Grund einen zweiten Pisa-Schock aus: Alle Werte sind massiv eingebrochen – vor allem bei der Lesekompetenz und Mathematik. 2000 lag der OECD-Durchschnitt für Mathe bei 500 Punkten, Deutschland erreichte lediglich 490 Punkte – und in der aktuellen Studie (Erhebungsjahr 2022) nur noch 475 Punkte. Bei der Lesekompetenz erreichte Deutschland im Jahr 2000 schon nur 484 Punkte (bei einem OECD-Durchschnitt von ebenfalls 500 Punkten) – heute sind es nur noch 480. Und auch bei den Naturwissenschaften ist fast wieder das 2000er-Niveau erreicht: mit 492 Punkten heute liegt es lediglich 5 Punkte über dem Wert von damals – und 32 Punkte unter dem Höchstwert von 2012.
Weltweite Leistungsverschlechterung
Man kann sich aber auch ein wenig trösten: Deutschland ist mit seinem Leistungseinbruch nicht ganz alleine. So lag der OECD-Durchschnitt im Jahr 2000 in allen Bereichen bei 500 Punkten, heute bei der Lesekompetenz bei 476, in Mathematik bei 472 und in den Naturwissenschaften bei 485 Punkten. Damit liegen die deutschen Werte, anders als im Jahr 2000, sogar über dem OECD-Durchschnitt. Allein, es ist ein schwacher Trost, das eigene Versagen mit dem Versagen anderer aufzurechnen. Seitens der OECD werden für den Einbruch der Werte zuvorderst die Effekte der Corona-Pandemie genannt. Doch der Abstieg hat in Deutschland wie erwähnt bereits nach 2012 eingesetzt – noch lange vor der Pandemie und ihren Schulschließungen. Zwar ist der Einbruch im Vergleich zur letzten vorpandemischen Studie von 2018 vor allem in Mathematik und bei der Lesekompetenz besonders drastisch – 25 und 18 Punkte –, doch die Entwicklung kam nicht ohne Ansage. Und die OECD betont, dass der Einbruch in Deutschland besonders ausgeprägt sei.
Schüler*innen-Bashing fehl am Platze
Nun ist landauf, landab zu lesen, die deutschen Schüler*innen seien „schlecht wie nie“ (ZDF) und „stürzen ab“ (WDR). Während das rein formal natürlich stimmt, leisten die Schüler*innen aber am Ende des Tages nur das, was ihnen zuvor an den Schulen vermittelt wurde. Die treffendere Schlagzeile wäre eigentlich: deutsche Schulen so schlecht wie nie. Und auch diese können eigentlich nichts dafür, denn sie sind ihrerseits abhängig von den Bildungspolitiker*innen – folglich müsste es in Wirklichkeit heißen: deutsche Bildungspolitik so schlecht wie nie. Und selbst dieses Problem gibt es nicht erst seit gestern, sondern ist eines, das von den Landesregierungen seit nunmehr fast einem Jahrzehnt verschleppt wird.
Tatsächlich fordern die verschiedenen Lehrergewerkschaften und Verbände schon seit vielen Jahren, dass es mehr Lehrkräfte braucht, attraktivere Arbeitsbedingungen um mehr Nachwuchs zu gewinnen, besser ausgestattete Schulen, mehr Förderungsangebote, mehr Schulsozialabeiter*innen etc. Die Liste ist lang und natürlich mit hohen Kosten verbunden. Allein, ein Land wie Deutschland, ohne nennenswerte natürliche Ressourcen, ist auf hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen. Nicht ohne Grund warnte, wie die ARD berichtet, der Bildungsökonom Ludger Wößmann schon vor Veröffentlichung der Pisa-Ergebnisse vor einer falschen Bildungspolitik: „Die Bildungskrise ist unser größtes Standortrisiko.“
Quellen:
OECD-Informationen zur Pisa-Studie: https://www.oecd.org/berlin/themen/pisa-studie/
Deutsche Ergebnisse der Studie: https://www.oecd.org/media/oecdorg/satellitesites/berlincentre/pressethemen/GERMANY_Country-Note-PISA-2022_DEU.pdf
Zeit Online: „Deutschland: Setzen, Sechs“: https://www.zeit.de/politik/2023-12/pisa-studie-ergebnisse-bildung-nachrichtenpodcast
ARD: „Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie“: https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/pisa-studie-128.html
ZDF: „Pisa-Studie: Schüler schlecht wie nie“: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/pisa-studie-oecd-ergebnisse-schule-bildung-deutschland-100.html
WDR: „Neue PISA-Studie: Deutsche Schüler stürzen ab“: https://www1.wdr.de/nachrichten/neue-pisa-studie-deutsche-schueler-stuerzen-ab-100.html
MDR: „Lehrergewerkschaften: ‚Deutschland hat ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem’“: https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/reaktionen-leistungsstudie-pisa-100.html
DLF Kultur: „Schock über das deutsche Schulmittelmaß durch PISA“ (2011): https://www.deutschlandfunkkultur.de/schock-ueber-das-deutsche-schulmittelmass-durch-pisa-102.html
07.12.2023