(ps) Der Lehrkräftemangel in Deutschland entwickelt sich langsam, aber sicher zu einem systemrelevanten Problem. Und das, obwohl er seit Jahrzehnten bekannt ist. Bereits vor 20 Jahren wurde in der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ davor gewarnt – schon damals war neben der Überalterung des Personalbestandes vor allem der ausbleibende Nachwuchs ein Problem. An diesen beiden Faktoren hat sich im Prinzip seither nicht viel geändert. Zwar steigt die Zahl der Lehrkräfte seit 2015 stetig an – jedoch wurden erst im Schuljahr ‘21/‘22 wieder Zahlen erreicht, wie es sie um 2006/‘07 schon mal gab. Und der Bedarf wird größer: Die zahlenmäßig starke Generation der Babyboomer geht derzeit in Rente, wodurch binnen weniger Jahre eine große Zahl von Lehrkräften die Schulen verlässt. Zugleich kommen aktuell geburtenschwache Jahrgänge nach.
Nun hat das Expert*innenbündnis des „Monitor Lehrerbildung“ vor diesem Hintergrund zu „Reformen in der Lehrkräftebildung“ aufgerufen. Das Bündnis, dem der Stifterverband, die Robert Bosch Stiftung, die Bertelsmann Stiftung und das CHE Centrum für Hochschulentwicklung angehören, bearbeitet seit 2011 die Entwicklungen im Bereich der Lehrkräftebildung. „In Deutschland fehlen je nach Berechnung bis zu 40.000 Lehrerinnen und Lehrer. Obwohl dies für die Schulen derzeit das größte Problem ist, kann der Lehrkräftemangel auch eine Chance für die Lehrerbildung sein – weil der Handlungsdruck steigt, dringend nötige Reformen im Lehramtsstudium endlich anzugehen“, so Dagmar Wolf, Bereichsleiterin Bildung bei der Robert Bosch Stiftung.
Lehrkräftemangel gefährdet Bildungserfolg
Und der Handlungsdruck sei groß: „Angesichts besorgniserregender Befunde zu den Leistungen von Grundschüler:innen droht Deutschland {...} eine massive Qualifikationskrise.“ Mehr noch: „der Mangel an qualifiziertem Personal an Schulen gefährdet den Bildungserfolg junger Menschen“, so die Expert*innen. Schon heute gehören Unterrichtsausfälle zum Normalzustand. Und die ohnehin schon problematische Koppelung des Bildungserfolges an die soziale Herkunft in Deutschland wird weiter verschärft. Trotz steigender Lehrkräftezahlen ist das Problem nicht kurzfristig in den Griff zu bekommen. Die Bildungsexpert*innen gehen davon aus, dass der Lehrkräftemangel „den Bildungsauftrag der Schule vermutlich für die nächsten zwei Jahrzehnte beeinträchtigen“ werde.
Mehr Zugänge zum Lehramt gefordert
Zu den zentralen Empfehlungen der Expert*innen gehört, die Zugänge zum Lehramt insgesamt flexibler zu machen. „Das grundständige Studium darf nicht länger der Königsweg bleiben“, so Andrea Frank, Stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes. „Flexiblere Zugangswege und eine größere Durchlässigkeit“ seien das Gebot der Stunde. Mithin seien Quereinsteiger*innen „keine Notstopfen; vielfältige Erfahrungshintergründe bereichern Schule und Unterricht. Unsere Botschaft sollte deshalb sein: Ihr seid jederzeit willkommen.“ Dazu gehören etwa auch „Studienangebote zur berufsbegleitenden Nachqualifikation von Quer- und Seiteneinsteiger*innen“.
Ebenso innerhalb des Studiums selbst könne man für mehr Durchlässigkeit sorgen. So sollten Nicht-Lehramts-Bachelorabsolventen sich auch auf Lehramts-Masterstudiengänge bewerben können und die pädagogischen Studienanteile des Bachelors dann nachholen.
Attraktiveres Lehramtsstudium nötig
Neben mehr und flexibleren Zugängen zum Lehramt sehen die Expert*innen auch Handlungsbedarf beim klassischen Lehramtsstudium. So sollten früher im Studium und insgesamt mehr „Praxiserfahrungen“ ermöglicht werden. Auch die Studieninhalte selbst könnten optimiert werden. So „würde ein besserer Professionsbezug durch auf das Berufsfeld Schule zugeschnittene fachwissenschaftliche Studienanteile das Lehramtsstudium attraktiver machen.“ In der Tat müssen die Studierenden derzeit im Prinzip ein reguläres Fachstudium durchlaufen, unabhängig davon, ob die Inhalte je in der Schule Thema werden oder nicht.
Weiterhin wird auch das Konzept des „dualen Lehramtsstudiums“ vorgeschlagen. Hier solle, ähnlich wie bei der dualen Ausbildung, der Praxisanteil während des gesamten Studiums deutlich erhöht werden. Am Ende des Studiums würden damit, der Theorie nach, bereits gut eingearbeitete, erfahrene Absolvent*innen das Lehramt aufnehmen. Hierbei seien allerdings „hohe Qualitätsstandards einzuhalten, die den Kompetenzgewinn der dual Studierenden in den Mittelpunkt stellen und nicht die Deckung des Lehrkräftebedarfs durch Studierende.“
Digitalisierung als Thema
Derzeit ist es im Prinzip noch möglich, ein Lehramtsstudium abzuschließen, ohne dabei Seminare zu digitaler Medienkompetenz belegen zu müssen. Dabei seien „die Digitalisierung und die Fortschritte bei Künstlicher Intelligenz eine enorme Herausforderung für Schule und Lehrkräftebildung.“ Anfang des Jahres sorgte beispielsweise ChatGPT für Furore, eine KI, die, verkürzt gesagt, unter anderem die Hausaufgaben erledigen kann. Auch „die Vermittlung überfachlicher (Medien-)Kompetenzen wie etwa Kooperation, Kreativität oder Kommunikation“ seien wichtige Bausteine, die „unbedingt bereits im Studium für alle angehenden Lehrkräfte verpflichtend verankert sein“ sollten.
Quellen:
https://www.monitor-lehrerbildung.de/projekt/
https://www.monitor-lehrerbildung.de/schwerpunkte/lehrkraeftebildung-im-wandel/
https://www.oecd.org/newsroom/oecdberichtwarntvordrohendemlehrermangelindenoecdlandern.htm
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1282270/umfrage/lehrkraefte-in-deutschland/
https://www.lehrerfreund.de/schule/1s/tag-des-lehrers-2007/2930
https://www.presseportal.de/pm/32102/1059401
https://www.sueddeutsche.de/politik/lehrermangel-ursachen-zahlen-1.5724273
30.06.2023