(ps) „Unsere Gesellschaft baut auf Bildung auf. Sie muss Gemeinsinn und Empathie ebenso fördern wie Toleranz und Respekt“, sagt die Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Maria Böhmer. In der Pressemitteilungen der UNESCO zum Internationalen Tag der Bildung geht es ihr vor allem um die „Verrohung im Netz“, welche den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ untergrabe. Dies beschädige unsere Demokratie, Gewalt und Diskriminierung seien die Folge. „Wenn wir über digitale Bildung sprechen, muss auch der digitale Alltag junger Menschen dabei eine Rolle spielen“, so Böhmer. „Damit Lehrkräfte diese Themen im digitalen Zeitalter angemessen vermitteln können, müssen wir ihre Aus- und Fortbildung zukunftsfähig machen.“ Doch nicht nur die digitale Bildung ist ein Problem: Weltweit ist der Zugang zu Bildung allgemein bedroht – und die Zahl der Analphabeten ist sogar gestiegen.
Faktisch keine Besserung beim globalen Bildungszugang
Als der Internationale Tag der Bildung 2019 ins Leben gerufen wurde, hatten laut UNESCO „262 Millionen Kinder und Jugendliche […] noch immer keinen Zugang zur Schule“ und „617 Millionen [Menschen] können nicht lesen und rechnen“, sind also Analphabeten. Im Jahr 2023/24 stellt sich diese Situation fast ebenso düsterer dar: immer noch sind 244 Millionen Kinder und Jugendliche ohne Schulzugang. Und die Zahl der Analphabeten ist derweil gestiegen, auf nunmehr 770 Millionen Menschen. Gleichzeitig ist der Bildungszugang für die Kinder stark bedroht. Wie das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) mitteilt, seien weltweit „222 Millionen Kinder im Schulalter von Konflikten und Notsituationen betroffen – drei Mal so viele wie noch 2016.“
Bildungsqualität in Deutschland auf der Kippe
Die Situation in Deutschland stellt sich – noch – relativ gut dar. Doch auch hier werden die Probleme größer: erst jüngst hatte die PISA-Studie einen signifikanten Einbruch der Leistungen deutscher Schüler*innen aufgezeigt. Und nicht zuletzt wird durch die Verrentung der Boomer-Generation derzeit und in naher Zukunft der seit vielen Jahren verschlafene Lehrkräftemangel die Qualität schulischer Bildung nachdrücklich infrage stellen. Schon 2019 wurde von der Deutschen UNESCO-Kommission beklagt, dass es mehr qualifizierter Lehrkräfte bedarf – geschehen ist seither jedoch wenig.
Chancengleichheit in Deutschland ausbaufähig
Auch mit Blick auf die Chancengleichheit gibt es nach wie vor Handlungsbedarf. „Der Bildungsstand des Elternhauses ist noch immer ausschlaggebend für das Erreichen der Hochschulreife“, sagte Maria Böhmer 2019 – und daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert. Der Hochschul-Bildungsreport von 2022 zeigt auf, dass etwa 27 Prozent der Kinder aus Nichtakademikerhaushalten ein Studium beginnen, wohingegen diese Quote bei Akademikerhaushalten bei 79 Prozent liegt. Damit bleiben die Jobchancen für höher- und hochqualifizierte Berufe weitgehend fest in der Hand von bessergestellten Gesellschaftsschichten.
Diesen statistischen Fakten folgen betrüblicherweise auch die Ansichten der Jugendlichen selbst. Laut einer repräsentativen Meinungsumfrage glauben, wie die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) berichtet, lediglich ein knappes Drittel der Jugendlichen, dass „im Großen und Ganzen alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung“ hätten. Noch 2015 lag diese Zahl bei 44 Prozent. Bei der Frage, welche Faktoren Einfluß auf gute Bildung haben, sehen entsprechend 54 Prozent die „Zuwendung und Unterstützung der Eltern“ als „sehr großen“ Faktor, und 39 Prozent als „großen“ Faktor. Immerhin: noch mehr, sogar am meisten Gewicht wird dennoch der Schule und den Lehrkräften zugemessen. Die „Qualität der Schule und Lehrkräfte“ sei für 64 bzw. 32 Prozent der befragten Jugendlichen ein „sehr großer“ bzw. „großer“ Faktor für gute Bildung. Umso wichtiger, dass hier etwas passiert, bevor auch dieser Glaube verloren geht.
Bildungschancen ergeben Berufschancen
Bildungschancen und deren Ungleichheit stellen jedoch nicht nur ein Problem für die schulischen Karrieren der Jugendlichen dar – sie haben vor allem auch Einfluß auf die Berufschancen und damit auf den gesamten späteren Lebensweg. Natürlich muß nicht jede*r studieren, das wäre auch gesellschaftlich gesehen nicht wünschenswert und Ausbildungen können ebenfalls zu phantastischen Karrieren führen – aber es macht eben einen großen Unterschied, ob jemand eine Ausbildung ergreift, weil er*sie das aufgrund von vorigen Chancenungleichheiten tun muß, oder ob dies eine freie Wahl ist.
Neben den strukturellen Problem in Deutschland, die dieses Ungleichgewicht hervorrufen, ist gerade für Jugendliche aus Nichtakademikerhaushalten ein fehlendes Netzwerk problematisch. Das geht bei Vorbildern, Bekannten und Verwandten los, die Kenntnis und Zugang zu bestimmten Berufen ermöglichen, und hört bei Wissen über die unterschiedlichen Karrieremöglichkeiten noch lange nicht auf. Nicht zuletzt haben Jugendliche aus Nichtakademikerhaushalten mitunter auch Probleme, ihre Entscheidungen innerhalb der Familie zu vermitteln, wenn sie von den Berufswegen der Eltern und der übrigen Familie abweichen. Hier bedarf es einer zielgerichteten Förderung. Plattformen wie Arbeiterkind.de leisten bereits gute Arbeit, aber auch der gemeinsame Besuch einer Berufsinformationsmesse von Jugendlichen mit ihren Eltern kann hier sehr hilfreich sein.
Perspektivisch bleibt auch heute am Internationalen Tag der Bildung unklar, wohin die Reise gehen wird. Das Weltgeschehen ist so volatil wie lange nicht mehr, und am Horizont zeigen sich etwa mit Nordkorea oder der Taiwanfrage neue Konfliktherde ab, die potentiell globale Verwerfungen auslösen könnten – deren Leidtragenden immer zuerst die Kinder sind und auch den Blick der Weltgemeinschaft von Schul- und Bildungsfragen ablenken wird. In Deutschland wiederum kann man den Eindruck haben, dass den Bildungspolitiker*innen Probleme wie Lehrkräftemangel erst langsam in ihrem vollen Ausmaß bewußt werden und noch immer nicht ausreichend gegengesteuert wird. Hinzu kommt das seit Jahrzehnten bekannte Problem der sozialen Ungleichheit der Bildungschancen, das faktisch nicht adressiert wird.
Quellen:
Pressemitteilung, 23. Januar 2024: Böhmer: „Verrohung im Netz untergräbt gesellschaftlichen Zusammenhalt“: https://www.unesco.de/node/10794
Pressemitteilung, 23. Januar 2023: UNESCO-Welttag: Recht auf Bildung wird verletzt: https://www.unesco.de/bildung/agenda-bildung-2030/unesco-welttag-recht-auf-bildung-wird-verletzt
Pressemitteilung, 23. Januar 2019: 24. Januar: Erster Welttag der Bildung: https://www.unesco.de/bildung/bildungsagenda-2030/24-januar-erster-welttag-der-bildung
BMZ: Pressemitteilung vom 23. Januar 2023: Internationaler Tag der Bildung: https://www.bmz.de/de/aktuelles/aktuelle-meldungen/internationaler-tag-der-bildung-137528
BMZ: Mädchen beim Zugang zu Bildung noch immer benachteiligt: https://www.bmz.de/de/themen/frauenrechte-und-gender/gender-und-bildung
Hochschul-Bildungsreport 2022: https://www.hochschulbildungsreport.de/sites/hsbr/files/hochschul-bildungs-report_abschlussbericht_2022.pdf
bpb: Inwieweit glauben junge Menschen an gleiche Bildungschancen?: https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/522718/inwieweit-glauben-junge-menschen-an-gleiche-bildungschancen/
24.01.2024