(ps) Das Land der Dichter und Denker verlernt das Lesen. So könnten, etwas überspitzt, die Ergebnisse der IGLU-Lesestudie 2021 zusammengefasst werden, die nun vorgestellt wurden. An der internationalen Vergleichsstudie nahmen 65 Staaten und Regionen teil, es wurden über 400.000 Kinder befragt, sowie Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern. In Deutschland nahmen 4.611 Kinder aus 252 vierten Klassen teil, unter der Leitung von Prof. Nele McElvany. Erreicht wurde bestenfalls Mittelmaß – Politik und Fachöffentlichkeit zeigen sich alarmiert: Sabine Döring, Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, betont: „Ein Weiter-so darf es unter keinen Umständen geben. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Trendwende.“
Lesen unter Mindeststandard
Bei den befragten Viertklässler*innen erreichten 25 Prozent nicht den Mindeststandard für Textverständnis, der für die weitere erfolgreiche Schulteilnahme erforderlich wäre. Das ist ein Anstieg um 6 Prozent im Vergleich zur vorangegangenen IGLU-Studie 2016, und 2001 lag der Wert bei nur 17 Prozent. Auch die sogenannte „mittlere Lesekompetenz“ wird schlechter: Bei der ersten Studie 2001 lag der Wert bei 539 Punkten, der EU-Mittelwert lag bei 541. In der aktuellen Studie ist der deutsche Wert auf 524 Punkte gesunken. Kaum trösten kann dabei, dass auch der EU-Mittelwert gesunken ist, denn nicht mal den erreicht Deutschland: Er liegt bei 527 Punkten. Währenddessen holt das globale Ausland deutlich auf. Singapur beispielsweise lag 2001 noch elf Punkte hinter Deutschland, heute steht das Land mit 587 Punkten weltweit auf dem ersten Platz.
Interesse am Lesen schwindet
Neben den sinkenden Kompetenzwerten bei Leseleistung und Textverständnis zeigt auch die Lesemotivation abwärts: Zwar zertifizieren sich die Kinder selbst, „hoch lesemotiviert zu sein.“ Jedoch sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Um 5 Prozent ist der Anteil der Schüler*innen mit hoher Lesemotivation gesunken, parallel ist der Anteil mit niedriger Lesemotivation um 4 Prozent gestiegen. 17 Prozent der Schüler*innen lesen in ihrer Freizeit „nie oder fast nie“. Zwar ist der Anteil der regelmäßig lesenden Schüler*innen mit 43 Prozent „vergleichsweise hoch“, wie die Studienautor*inne schreiben, jedoch ist dieser Wert um 5 Prozent gesunken, während er in anderen Staaten teils signifikant verbessert werden konnte. Auch hier ist kein echter Trost, dass die Werte in den europäischen Nachbarländern ebenfalls sinken.
Lesen macht schlau und gesund
Die Wissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass sich ihre Ergebnisse durchaus mit vorangegangenen Studien decken. Das Problem ist also nicht erst heute entdeckt worden – zielführende Maßnahmen sind jedoch trotz einschlägiger politischer Äußerungen unterblieben. Dabei ist Lesen nicht nur eine Grundvoraussetzung an gesellschaftlicher Teilhabe. Es verbessert die kognitiven Fähigkeiten und macht sogar gesund: Studien zeigen, dass Lesen den Stresspegel senkt, ebenso das Demenz-Risiko, und dass die Lebenserwartung im Schnitt um 23 Monate höher ist als bei der nicht-lesenden Vergleichsgruppe.
Quellen:
https://www.researchgate.net/publication/322977830_IGLU_2016_Wichtige_Ergebnisse_im_Uberblick
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/bildung-lesen-iglustudie-100.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2023-05/iglu-studie-2023-bettina-stark-watzinger
https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/motivation/wie-gesund-ist-lesen-wirklich/
Bearbeitet 17.05.2023