(ps) Im Kopf vieler Menschen ist die zentrale Aufgabe der Schulen hauptsächlich, Wissen zu vermitteln. Doch gehört es auch zu den genuinen Aufgaben der Schulen, mündige Bürger*innen zu erziehen – der Demokratiebildungsauftrag ist in Landesverfassungen, den Schulgesetzen, Bildungsplänen und Schulleitbildern verankert. Denn: nur mit mündigen, demokratisch geschulten Bürger*innen kann eine Demokratie funktionieren. Eine Demokratie ohne Demokraten wird schneller, als man „Diktatur“ sagen kann, zu einer ebensolchen.
So fordert beispielsweise der Artikel 30 der saarländischen Verfassung, dass die Jugend „zu sorgsamem Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“ seien. Im Artikel 28 der brandenburgischen Verfassung ist nachzulesen, dass „Erziehung und Bildung“ zur Aufgabe hätten, „die Entwicklung der Persönlichkeit, selbständiges Denken und Handeln, Achtung vor der Würde, dem Glauben und den Überzeugungen anderer, Anerkennung der Demokratie und Freiheit, den Willen zu sozialer Gerechtigkeit, die Friedfertigkeit und Solidarität im Zusammenleben der Kulturen und Völker und die Verantwortung für Natur und Umwelt zu fördern.“
Diese hehren Ziele sind also nicht im Zuckerbeiwerk der Präambel notiert, sondern als handfeste und rechtlich bindende Artikel in den Verfassungen. Und auch die Kultusministerkonferenz hat sich hier klar positioniert: die Schule sei „kein wertneutraler Ort. Das pädagogische Handeln in Schulen ist von demokratischen Werten und Haltungen getragen, die sich aus den Grundrechten des Grundgesetzes und aus den Menschenrechten ableiten lassen“, heißt es in einem 2018 verabschiedeten Beschluss.
Unklare Stimmungslage in der Jugend
Will man der Frage nachgehen, ob oder wie denn nun diese Ziele bei den Jugendlichen angekommen sind, stößt man auf gemischte Ergebnisse. So hat die große Trendstudie „Jugend in Deutschland“ 2024 tendenziell einen Rechtsruck unter den Jugendlichen ausgemacht: die Zustimmung zur AfD sei so hoch wie nie, die Zustimmung für offen rechtspopulistische und rassistische Aussagen groß, und es lasse sich „eindeutig festhalten“, dass das „Potenzial für rechte, rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen in der jungen Generation“ in den vergangenen Jahren größer geworden sei.
Auf der anderen Seite hat 2024 eine Studie der Bertelsmann Stiftung aufgezeigt, dass das Vertrauen der Jugend in die Demokratie weiterhin groß sei. Immerhin 59 Prozent der 18- bis 30-jährigen Befragten gaben an, der Demokratie als solcher zu vertrauen. Die Zustimmungswerte zu den politischen Institutionen – wie Regierung oder Parlament – seien dagegen eher mäßig. Regina von Görtz, Jugendexpertin der Stiftung, betont vor diesem Hintergrund: „Eine gute Politik für junge Menschen sollte vorausschauende Entscheidungen in ihrem Sinne treffen und sie stärker als bisher in den politischen Prozess einbeziehen.“
Schulen als Erfahrungsorte der Demokratie
Tatsächlich ist die Einbindung in die Prozesse, seien sie politisch oder rein schulisch, auch für die Schulen der Ariadnefaden, an dem es sich zu orientieren gilt. Dabei gibt es schon eine Reihe von „klassischen“ Demokratieaspekten wie etwa die Klassen- und Schulsprecher*innenwahlen, die Schüler*innenkonferenzen oder die Partizipation an den Schulkonferenzen. Es ist jedoch festzustellen, dass die Wirksamkeit dieser Institutionen sehr stark von der jeweiligen Lehrkraft bzw. der Schule abhängt. Hier liegt aber ein großes Risiko: nichts ist für die Demokratieverdrossenheit ein besserer Nährboden, als die Partizipation an demokratischen Prozessen, die zu nichts führen. Wählen – nur um dann festzustellen, dass alles Schein war und die gewählten Schüler*innen weder ernstgenommen werden noch wirklich etwas ausrichten können.
Dies findet sich als Problem auch in einer weiteren Bertelsmann-Studie wieder: nicht mal jede*r Fünfte der Befragten glaube, durch eigenes Engagement etwas an den gesellschaftlichen Verhältnissen verändern zu können. Demokratie lebt jedoch nicht nur, wie eingangs stipuliert, von mündigen Demokrat*innen, sondern nicht zuletzt vom Engagement derselben. Entsprechend muss die erste Maxime der Demokratiebildung an Schulen lauten, die Wirksamkeit demokratischer Prozesse erfahrbar zu machen und den Schüler*innen damit ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Nur so kann auch ein Vertrauen in die Demokratie und ihre Prozesse entstehen.
Das heißt aber auch: Demokratiebildung ist nicht nur eine Frage der jeweiligen Unterrichtsfächer, sondern eine Frage der Schulkultur insgesamt. Dr. Martina Diedrich, Direktorin des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) in Hamburg, betont: „Es macht einen Unterschied, ob Kinder und Jugendliche die Schule als diskursiven, von Meinungsvielfalt und Offenheit geprägten Ort erleben, in dem Kontroversen gut verhandelt werden können, in dem sie sich mit eigenen Positionen einbringen können und in dem ihnen Autonomie und Meinungsstärke zugestanden werden, oder ob solche Erfahrungen fehlen.“ Daher lohne es sich, solche „Lerngelegenheiten“ zu ermöglichen und die Schüler*innen „auch in ihrer Vorbereitung auf demokratische Teilhabe zu begleiten.“
Weiterführende Informationen:
Hamburg macht Schule: „Demokratie lernen in der Schule“, Heft 4/2022, Jg. 34; online: www.hamburg.de/contentblob/16722890/4a6d3a24c05b14dc7c845d0888463604/data/hms-4-2022.pdf
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM): „Demokratie erfahrbar machen – demokratiepädagogische Beratung in der Schule“; online: www.schulentwicklung.nrw.de/materialdatenbank/material/download/6751
Weitere hilfreiche Links sind in unserem Beitrag „Nie wieder ist jetzt“ zu finden.
Zusätzliche Quellen:
Bertelsmann Stiftung: „Junge Menschen in Deutschland vertrauen der Demokratie und der EU“, PM vom 06.02.2024; online: www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/februar/junge-menschen-in-deutschland-vertrauen-der-demokratie-und-der-eu
Bertelsmann Stiftung: „Mehr Engagement junger Menschen ist möglich - wenn sie sich ernst genommen fühlen“, PM vom 12.12.2024; online: www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/dezember/mehr-engagement-junger-menschen-ist-moeglich-wenn-sie-sich-ernst-genommen-fuehlen
Kultusministerkonferenz: „Demokratiebildung“, o.A.; online: https://www.kmk.org/themen/allgemeinbildende-schulen/weitere-unterrichtsinhalte-und-themen/demokratiebildung.html
12.12.2024