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Wissenschaft und Politik

Schule unter Leistungsdruck

Zwei Jahre Pandemie hinterlassen Spuren bei den Schüler*innen

Seit nunmehr zwei Jahren geht das Spiel: Schule auf, Schule zu, Distanzunterricht, Präsenzunterricht, Wechselunterricht... Die Coronapandemie hat das Leben der Jugendlichen gründlich verändert. Etwas wie Schulalltag gab es das letzte Mal vor zwei Jahren, und viele fürchten jetzt die "Omikron-Wand". Nun müssen die Lehrkräfte viel Schulstoff schnell nachholen, sehen sich aber einer psychisch zunehmend ausgelaugten Schüler*innenschaft gegenüber. Noch nie wurden so viele psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen registriert wie heute.

(ps) Es ist wie ein Stück aus dem Lehrbuch für zeitgenössische Debattenführung: Der bayerische Kultusminister mahnt die Schulen und Lehrkräfte, Schulaufgaben "mit Augenmaß" anzusetzen, um "in diesen Zeiten die Schülerinnen und Schüler nicht [zu] überfordern". Die bayerische Sektion der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nennt das "schäbig" und schiebt den schwarzen Peter an den Minister zurück: Der müsse politisch für "angemessene Rahmenbedingungen" sorgen, etwa indem "offiziell" die Zahl der schulischen Leistungsnachweise gesenkt werden. Der Landesvorsitzende des Bayerischen Elternverbands (BEV) macht beiden Seiten Vorwürfe und moniert, dass viele Lehrkräfte "übereifrig" seien, das Kultusministerium jedoch untätig. Auch er wünsche sich eine Anweisung des Dienstherrn. Jene,  um die es geht, die Schüler*innen, werden nicht gefragt.

Während die Debatte weitergeführt wird,  verändert sich für die Jugendlichen erst mal nichts. In Bayern wie auch in der ganzen Republik häufen sich derweil die Meldungen über Schüler*innen mit psychischen Auffälligkeiten: Depressionen, Sozialphobien, Gewalt, selbstverletzendes Verhalten – die Liste ist lang. "Ich habe noch zu keiner Zeit in meiner 25-jährigen Berufslaufbahn so viele Kinder mit Angststörungen, Depressionen und anderen psychischen Auffälligkeiten erlebt", sagt Simone Reuen, Schulleiterin des Burggymnasiums in Essen dem WDR. Dieser Befund deckt sich mit einer Reihe von Studien, die seit Beginn der Pandemie das Befinden und den psychischen Zustand der Jugendlichen untersuchen.

Bereits im Sommer '21 mahnte die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP) in einem offenen Brief, den "Lebensraum Schule nicht nur in Bezug auf die Lern- und Leistungsaspekte" zu betrachten, sondern auch dessen Wichtigkeit "für eine gesunde psychosoziale Entwicklung" zu beachten. "Mit Blick auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen warnen wir eindrücklich vor der Beibehaltung von Leistungsanforderungen und einem forcierten 'Aufholen' von Lerninhalten." Seither wiederholt die DGKJP diese Hinweise wie ein Mantra. Erst kürzlich äußerte der Präsident des Verbandes, Michael Kölch, gegenüber der "Rheinischen Post": "Wenn nur auf die Leistung geschaut wird und der Leistungsdruck sogar erhöht wird, setzt man auf die ohnehin schwierige Situation noch einen großen Stressfaktor oben drauf."

Angesichts der nun zwei Jahre andauernden pandemiebedingten Einschränkungen nehme "die Belastung deutlich zu", so Kölch. Zusätzlich bereite auch das familiäre Umfeld Probleme, sagt Christian Zegers, Schulsozialarbeiter am Essener Burggymnasium. Zum einen gebe es unverminderten Leistungsdruck bzw. Leistungserwartungen seitens der Eltern trotz der schulisch wie psychisch erschwerten Bedingungen. Zum anderen könne das permanente Zuhausesein auch zu sozialen Spannungen führen, die negative Effekte auf Psyche und Leistung des Kindes hätten. Oft seien "ganze Familiensysteme hochbelastet", sagt Zegers dem WDR. "So viel Druck sollte man in jungen Jahren nicht aushalten müssen." 

Kinder und Jugendliche sind den Auswirkungen der Pandemiebedingungen besonders hilflos ausgesetzt: Sie können nicht kündigen und sich anderweitig orientieren, sie können nicht von zu Hause ausziehen, wenn es ihnen zu viel wird, bis vor kurzem durften sie sich nicht mal impfen lassen. Vereine laufen im Notbetrieb, wenn sie denn geöffnet sind, das Sozialleben ist reduziert, das Schulleben bestenfalls unstet. Das Leben unter diesen Bedingungen zu meistern, müsse ebenfalls als Leistung anerkannt werden – "Ansonsten drängt man Kinder in eine Opferrolle. Ganz so, als hätten sie nicht auch sehr viel Positives geschafft", so Michael Kölch vom DGKJP. Und so liegt es nicht nur bei den Ministerien und Lehrkräften, sondern auch bei den Eltern, sensibel auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in diesen komplizierten Zeiten zu reagieren. 


Quellen:

https://www.dgkjp.de/offener-brief-zu-schulischen-leistungsanforderungen/ 

https://www.br.de/nachrichten/bayern/streit-ueber-schulaufgaben-lehrerverbaende-attackieren-minister,SusXg26 

https://www.sueddeutsche.de/bayern/kabinett-muenchen-kultusminister-bittet-lehrer-um-augenmass-bei-schulaufgaben-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220117-99-741287 

https://www.spiegel.de/panorama/bildung/leistungsdruck-an-bayerns-schulen-da-hilft-kein-appell-sondern-nur-eine-anweisung-vom-dienstherrn-a-cd6dfdac-572d-4ea3-99ed-70a1c98e37e9 

https://www1.wdr.de/nachrichten/schule-psychische-probleme-pilotprojekt-bochum-100.html 

https://presse-augsburg.de/psychiater-schule-darf-in-pandemie-nicht-nur-auf-leistung-schauen/769432/ 

https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_104081.html 

 

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