(ps) "Architektur sollte immer Ausdruck ihrer Zeit und Umwelt sein, jedoch nach Zeitlosigkeit streben", hat der berühmte kanadische Architekt Frank Gehry einmal gesagt. Und tatsächlich sind Häuser immer mehr als lediglich vier Wände und ein Dach. Selbst das schlichteste Haus sagt etwas über die Zeit aus, in der es gebaut wurde und über die Ansprüche und Vorstellungen der Erbauer. Sei es pompöse Repräsentation wie in Versaille, bescheidene Zimmer für das "kleine Glück" in den Siedlungen der 1950er Jahre oder das klassizistische Tempelgebäude für die New Yorker Börse. Spätestens seit den bahnbrechenden Analysen zur Gefängnisarchitektur durch Michel Foucault ist auch einem breiteren Publikum bekannt, dass Architektur nicht nur eine ästhetische Wirkung hat, sondern auch eine Wirkung auf die Menschen und deren Verhalten in ihr.
Schulgebäude bilden da keine Ausnahme. "Schulbauten prägen uns", sagt Natascha Meuser, Architektin und Professorin an der Hochschule Anhalt in Dessau, der SZ. "Kinder und Jugendliche verbringen hier einen großen Teil ihres Tages" – und so sei es besonders wichtig, wie die Schulen ausgestaltet sind, in denen schließlich die "Persönlichkeitsbildung" stattfindet. Hier wird auch von der "Schnittstelle von Pädagogik und Architektur" gesprochen – das pädagogische Konzept soll von der Architektur unterstützt und ergänzt werden. So ist beispielsweise der Anspruch an moderne Schulen, viel Platz für Gemeinschaftsflächen zu bieten, seien es Aufenthaltsbereiche, Gruppen- oder Projekträume, kurz: Freiräume. Doch auch das ist lediglich der vorläufige Stand einer sich über die Jahrhunderte stetig wandelnden Entwicklung.
Die Franckeschen Stiftungen zu Halle waren selbst in der sehr um Pädagogik bemühten Zeit der Aufklärung eine Besonderheit. Hier gab es unter anderem eine Elementarschule, eine Lateinschule, ein Königliches Pädagogium und eine Mädchenschule, an denen "junge Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status und ihrem Geschlecht erzogen und ausgebildet" wurden. Ferner seien "lebensnaher Unterricht, Lehrerausbildung und Begabtenförderung systematisch angewandt" worden. Die Anlage bildet entsprechend den Ausgangspunkt der Tagung: "Das zugrundeliegende pietistische Erziehungskonzept ist in den erhaltenen Gebäuden der Stiftungen, die auch heute noch für pädagogische Zwecke genutzt werden, noch ablesbar." Auf der Tagung soll zunächst auch die Stellung der Stiftung "in einer übergreifenden, vergleichenden und internationalen Perspektive" eingeordnet werden.
Damit soll die Tagung auch einen Beitrag zur vergleichenden Architekturgeschichte leisten, die laut den Organisatoren der Tagung, Dr. Thomas Grunewald und Prof. Dr. Holger Zaunstöck, derzeit oft noch "unverbunden nebeneinander" stünden. Die der Tagung zugundeliegende Frage formuliert Grunewald so: "Wie kann eine vergleichende Architekturgeschichte von Schulbauten und Bildungsräumen auf der Basis der Sozial-, Kultur-, Religions- und Bildungsgeschichte konzipiert werden und wie ist die »Schulstadt« der Glauchaschen Anstalten darin zu verorten?" Hiervon ausgehend "werden sich vom 13.–15. Oktober 2022 in den Franckeschen Stiftungen 15 WissenschaftlerInnen u.a. aus Großbritannien, Portugal, Tschechien, Belgien, Dänemark und Deutschland aus interdisziplinärer Perspektive mit der Bildungsarchitektur der Frühen Neuzeit in Theorie und Praxis auseinandersetzen."
Für die Teilnahme ist eine Anmeldung erforderlich, um die bis zum 10. Oktober 2022 gebeten wird. Am 14. Oktober findet ein öffentlicher Abendvortrag von Thomas Eißling (Uni Bamberg) mit dem Titel "August Hermann Franckes erfolgreiches Scheitern und die Transformation vom Waisenhaus zur Schulstadt unter Gotthilf August Francke" statt.
Quellen:
https://www.francke-halle.de/de/forschung/tagungen/fruehneuzeitliche-bildungsarchitekturen
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schule-architektur-schularchitektur-1.4297044
19.09.2022