Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ 2024 hat es schwarz auf weiß aufgezeigt: die Jugend in Deutschland, traditionell mehrheitlich eher grün und links, würde bei der nächsten Bundestagswahl am häufigsten die AfD wählen – ganze 22 Prozent sehen das so. Bislang ist dies zwar noch kein langfristiger Trend und die Ergebnisse könnten bei der nächsten Befragung schon ganz anders aussehen. Dennoch: Die Parteijugend der AfD ist gesichert rechtsextrem und auch die Partei selbst wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.
Besorgniserregend auch die Reaktionen auf den Überfall der Hamas auf Israel im Oktober vergangenen Jahres. Nach einer ersten Solidaritätswelle kam sehr rasch auch der Antisemitismus hoch und so mussten Juden und Jüdinnen in Deutschland und weltweit um ihre Sicherheit fürchten. Die Stiftungen und Vereine zur Antisemitismusaufklärung und
-bekämpfung wurden noch im Herbst von den Schulen und Universitäten regelrecht mit Hilfsanfragen überhäuft. Der Konflikt brachte den nur mit einem dünnen Schleier verhüllten Haß ans Tageslicht und die Lehrkräfte sahen sich im Umgang damit nicht selten überfordert.
Die Liste solcher Phänomene ließe sich noch leicht fortsetzen – und würde sich auch mit dem politischen Klima in Deutschland und Europa decken. Der Trend zu rechtskonservativen und rechten Regierungen schreibt sich – sieht man einmal vom knappen Wahlergebnis in Polen ab – kontinuierlich fort. Ressentiments, Nationalismus, Rassismus und das ganze übrige Potpourri des Hasses schreibt sich zusehends in den Köpfen der Menschen ein.
Das ist sowohl ein Problem für alle Menschen, die nicht zufällig den Phantasien der Rechten gefällig sind, als auch für unsere Demokratie insgesamt. Und damit ist es unmittelbar ebenso ein Problem für den Wirtschaftsstandort Deutschland – schon heute.
Fachkräftemangel ohne Demokratie
Der Fachkräftemangel betrifft in Deutschland inzwischen praktisch jede Branche und Nachwuchs ist Mangelware. Wenn aber die deutsche Wirtschaft eine Zukunft haben soll, braucht sie Arbeitskräfte. Da die Deutschen es versäumt haben, sich in ausreichendem Maße zu vermehren, stehen internationale Fachkräfte ganz oben auf der Agenda. Allein: sie kommen nicht, wenn es einen Rechtsruck in Deutschland gibt.
In kleinem Maßstab kann dies bereits in den ostdeutschen Bundesländern, allen voran Sachsen, beobachtet werden. In Sachsen gibt es mit Dresden und Leipzig zwar bekannte Touristen-Hotspots und eine Reihe großer Hochschulen und internationaler Unternehmen. Ausländische Fachkräfte jedoch kommen kaum – und das liegt nicht daran, dass sich Sachsen und Sachsens Industrie nicht bemühen würde. Es liegt am in Sachsen vergleichsweise weit fortgeschrittenem Rechtsruck und dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Klima. So berichtet die Frankfurter Rundschau erst kürzlich von einer Reihe von Unternehmen, die Kündigungen ausländischer Fachkräfte oder Absagen hinnehmen müssen. Etwa bei CAC Engineering in Chemnitz hätten in den vergangenen Monaten ganze 40 ausländische Mitarbeiter „wegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit gekündigt“. Der Chef einer Dresdner Solarfirma sagt es klar: seine ausländischen Fachkräfte hätten gekündigt, „weil sie gesagt haben, dass sie sich hier nicht mehr wohl und sicher fühlen.“
Gegenüber dem Tagesspiegel wird Andreas von Bismarck, Vorstandssprecher des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“, schon 2019 deutlich: „Dass auch internationale Fachkräfte ungern nach Sachsen kommen, ist keine Sorge mehr. Es ist eine Tatsache.“ Doch das Problem betrifft nicht nur Sachsen und nicht nur den Osten. Laut Bundesinnenministerium habe sich bundesweit die Zahl der Straftaten mit fremdenfeindlichen Hintergrund seit 2013 mehr als verdreifacht.
Schülerräte fordern selbst Maßnahmen
Obschon es bereits seit einigen Jahren Klagerufe der Wirtschaft über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gibt, ist das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen – es bleibt Zeit, es davor zu retten. Damit dies allerdings gelingt, muß jetzt gehandelt werden, und mit Nachdruck. So sehen es auch die Schüler*innen selbst. Wie das „Deutsche Schulportal“ der Robert-Bosch-Stiftung berichtet, haben Anfang des Jahres „Schülervertretungen der sechs ostdeutschen Bundesländer“ den „zunehmenden Rechtsextremismus an Schulen beklagt und ein entschiedenes Gegensteuern gefordert.“
Die Schüler*innen schlagen u.a. „eine Stärkung des Geschichts-, Politik- oder Sozialkundeunterrichts“ vor, sowie „an Schulen den Umgang mit digitalen Medien zu lehren“, da über das Internet allgemein und speziell über die sog. Sozialen Medien heute fake news und Verschwörungsmythen zuhauf verbreitet werden. In dem Positionspapier fordern die Schüler*innen zudem fächerübergreifende Auseinandersetzungen zum Thema: „Dabei sollte im Unterricht fächerübergreifend der demokratische Streit, eine fundierte politische Urteils- und Meinungsbildung sowie ein wertschätzendes Miteinander erlernt werden. […] Außerdem sollten Projekte gefördert werden, die die Vorteile einer pluralistischen Gesellschaft hervorheben und interkulturellen und internationalen Austausch (Auslandsschulpartnerschaften) als Ziel haben.“
Schon heute wird es an vereinzelten Schulen schwierig sein, solcherlei Maßnahmen erfolgreich umzusetzen. Umso wichtiger ist es, das Thema nun nachdrücklich anzugehen. Jedenfalls läßt sich aus dem Positionspapier der Schülervertreter*innen die erfreuliche Erkenntnis ableiten, dass die Schüler*innen durchaus den Willen haben, sich gegen Extremismus zu stellen – sie brauchen jedoch (dringend) Hilfe.
Weitere Informationen und Hilfen:
Schulportal der Robert-Bosch-Stiftung: Dossier „Was können Schulen gegen Rechtspopulismus tun?“: deutsches-schulportal.de/dossiers/was-koennen-schulen-gegen-rechtspopulismus-tun/
Demokratie leben: „Wie können Ausbildende und Lehrkräfte Demokratieförderung und Demokratiebildung betreiben?“: www.demokratie-leben.de/magazin/magazin-details/wie-koennen-ausbildende-und-lehrkraefte-demokratiefoerderung-und-demokratiebildung-betreiben-105
Wegweiser Bürgergesellschaft: „Demokratieförderung in der Schule“: https://www.buergergesellschaft.de/mitgestalten/handlungsfelder-themen/schule/demokratiefoerderung-in-der-schule
Quellen:
DLF: „Schülervertretungen in ostdeutschen Bundesländern warnen vor Rechtsextremismus an Schulen“: www.deutschlandfunk.de/schuelervertretungen-in-ostdeutschen-bundeslaendern-warnen-vor-rechtsextremismus-an-schulen-100.html
Frankfurter Rundschau: „Unternehmen alarmiert: Wachsender Rechtsruck vertreibt ausländische Fachkräfte“: www.fr.de/wirtschaft/wachsender-rechtsruck-vertreibt-fachkraefte-ausland-afd-fachkraeftemangel-zr-92921562.html
Landesschülerrat Brandenburg: „Rechtsextremismus an Schulen“ lsr-brandenburg.de/2024/04/08/rechtsextremismus-an-schulen/
News4Teachers: „‚Offen gezeigte Hitlergrüße‘: Schülervertretungen fordern mehr Engagement gegen Rechtsextremismus an Schulen“: www.news4teachers.de/2024/04/offen-gezeigte-hitlergruesse-sind-keine-randphaenomene-mehr-schuelervertretungen-fordern-mehr-engagement-gegen-rechtsextremismus-an-schulen/
Tagesschau: „ Oberverwaltungsgericht Münster: AfD-Einstufung als Verdachtsfall ist rechtens“: www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/afd-ovg-verdachtsfall-100.html
Tagesschau: „JA darf als extremistisch eingestuft werden“: www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/junge-alternative-verfassungsschutz-102.html
Tagesspiegel: „Ausländerfeindlichkeit: ‚Dass internationale Fachkräfte ungern nach Sachsen kommen, ist eine Tatsache‘“: www.tagesspiegel.de/wirtschaft/dass-internationale-fachkrafte-ungern-nach-sachsen-kommen-ist-eine-tatsache-4658506.html
Wirtschaftswoche: „Fremdenfeindlichkeit kostet die Unternehmen Fachkräfte“: www.wiwo.de/politik/deutschland/standort-deutschland-fremdenfeindlichkeit-kostet-die-unternehmen-fachkraefte/29745158.html
Titelbild: Wikimedia Commons: Magnus Hagdorn: „Wir sind die Brandmauer 2024-02-03 – Wir sind das Volk“ [Ausschnitt]. CC BY-SA 2.0 creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
16.05.2024