Wenn man den Statistiken glaubt, ist Mathematik eigentlich gar nicht so unbeliebt. Noch 2010 identifizierte eine Studie Mathematik als das beliebteste Schulfach. Und 2020 kam Mathematik bei den Abiturient*innen in NRW auf Platz 3 von 10 der am häufigsten gewählten Leistungskurse (in denen dann die wichtigsten Abschlußprüfungen abgelegt werden). Dennoch sieht die Lage besonders im Fach Mathematik laut aktueller Studie der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und der Joachim Herz Stiftung schlecht aus.
Bei der Gruppe der 15-jährigen hätten die Schüler*innen laut Analyse einen „Kompetenzrückstand von einem kompletten Schuljahr“. Damit haben die Mathefähigkeiten der Gruppe „zwischen 2012 und 2022 um 39 Punkte abgenommen“. Auch Schüler*innen mit besonders schwachen Leistungen sei anteilig deutlich angestiegen: „von rund 17 Prozent in 2012 auf etwa 29 Prozent in 2022.“
Entsprechend besorgt zeigt man sich seitens der Studienleitung. Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) und Studienleiter betont, man müsse sich mehr um Mathematik kümmern. Als Ursachen benennt er mangelnden Lebensweltbezug des Unterrichts und fehlende Verknüpfung der Inhalte „über die Jahrgangsstufen hinweg“. Dies seien „Qualitätsmerkmale“, die dringend durchgesetzt werden müssten. Mithin hätten die Schüler*innen „bei 75 Prozent der Aufgaben keinen Bezug zu ihrem Alltag oder ihrem Umfeld herstellen konnten.“ Dabei könnte gerade die MINT-Fächer helfen, „ein tieferes Verständnis unserer Welt [zu] erlangen“, sagt acatech-Präsident Jan Wörner.
Problembasiertes Lernen verspricht Chancen
Als Beispiel dafür, wie es im Unterricht besser gehen könnte, verweisen die Forschenden auf „kollaboratives problembasiertes Lernen“. Dahinter verbirgt sich schlicht, die Aufgabenstellungen – in Mathematik und den übrigen Naturwissenschaften – mit real existierenden oder denkbaren Problemstellungen zu verknüpfen. Als Beispiel nennen sie die „Frage, wie sich Offshore-Windparkanlagen so bauen lassen, dass sie die Meeresflora und -fauna möglichst geringfügig stören. Die Aufgaben sind stets so komplex, dass sie nur unter Zuhilfenahme des Wissens und Könnens der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie weiterer Quellen in der vorgegebenen Zeit bearbeitet werden können.“
Das auch als Problembasiertes Lernen (PBL) bekannte Konzept hat bereits viele Fürsprecher*innen in der Wissenschaft und wurde erfolgreich getestet. Die Universität Graz betont, problembasiertes Lernen fördere „die aktive Konstruktion von Wissen“, und eine Studie von 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass „Kompetenzen im Bereich Wissensanwendung, Problemlösen, Recherche, Kollaboration, Kommunikation und Argumentation“ angeeignet werden würden. „Diese Kompetenzen sind nicht nur für das Berufsleben wichtig, sondern erleichtern den Einstieg in lebenslanges Lernen.“ In der jüngsten Trendstudie „Jugend in Deutschland“ 2024 wurden von den Schüler*innen bezeichnenderweise explizit „Fächer, die Aufgaben des realen Lebens beinhalten“ gefordert, sowie „sowie „mehr Praxisbezug“. Insofern deckt sich der Ansatz der Studienautor*innen durchaus mit den Wünschen der Schüler*innen selbst.
Mit KI zu besserer Berufsorientierung?
Im Nachwuchsbarometer wurde auch erhoben, wie der weitere Bildungsweg nach der Schule – also Ausbildung und Studium – verläuft. Dabei stellten die Forschenden fest, dass zwar mehr Menschen in den MINT-Bereich gehen, die Abbruchquote aber relativ hoch ist und weiter steigt. So seien 2023 mit 489.000 neuen Ausbildungsverträgen etwa 14.000 Menschen mehr in eine MINT-Ausbildung eingestiegen, als noch 2022. Dies seien 34 Prozent der Ausbildungs-Neuverträge insgesamt. Allerdings werden fast ein Drittel der MINT-Ausbildungen vorzeitig wieder aufgelöst. Ob die Azubis dann auch aus dem MINT-Bereich ausscheiden, wurde nicht mitgeteilt. „Falsche Erwartungen an die Ausbildung oder Überforderung“ seien die häufigsten Auslöser für den Ausbildungsabbruch. Im Hochschulbereich liege die Zahl der Abbrechenden sogar noch höher, und zwar bei 51 Prozent.
Als möglich Lösung – für Azubis wie Studierende – sehen die Forschenden den Einsatz von KI-Tools, mithilfe derer eine bessere Beratung und Orientierung geliefert werden könne. Während dies allerdings sicher hilfreich sein kann, zeigt eine große Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2022, dass für die Berufsorientierung gerade der persönliche Kontakt von größter Bedeutung ist. Die Studie wurde noch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie angefertigt, in der es zwangsläufig zu einem starken Anstieg digitaler Beratungsangebote kam. Dabei waren den Befragten mit 48 Prozent die „Gespräche mit Lehrer*innen, Ausbilder*innen und Berufsberater*innen“ am wichtigsten. Die Ausbildungsexpertin der Bertelsmann-Stiftung, Claudia Burkhard, betont hierzu: „die direkte Erfahrung und das persönliche Gespräch sind für viele Jugendliche immer noch essenziell.“
Quellen:
Deutsche Akademie der Technikwissenschaften: PM 15.05.2024: „MINT Nachwuchsbarometer 2024“, auf: idw-online.de/de/news833453
Bertelsmann-Stiftung: „Mehrheit der Jugendlichen fehlt der Durchblick bei der Berufswahl“: www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/juli/mehrheit-der-jugendlichen-fehlt-der-durchblick-bei-der-berufswahl
Universität Graz: „Problembasiertes Lernen (PBL)“: static.uni-graz.at/fileadmin/projekte/digitalelehre/Dokumente/E-CAMPUS_Problembasiertes_Lernen_Kat-6.pdf
Mintuitiv: „Die Top 10 der beliebtesten MINT-Fächer in der Schule“: www.mintuitiv.de/blogs/mint/die-beliebtesten-mint-faecher-in-der-schule
15.05.2024