(ps) Demokratie lebt von Demokrat*innen. Oder, sprichwörtlich: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf. In letzter Zeit kann man verstärkt den Eindruck gewinnen, dass mehr Menschen als gedacht im Schlaf sind oder waren. Die Skandale um den Partysong „L’amour toujours“ bilden da nur die neueste Spitze eines Eisbergs, der bis hinein in die Eliteschulen Deutschlands reicht. Ganz offensichtlich haben wir als Gesellschaft es versäumt, den Wert der Demokratie hinreichend und breitenwirksam zu vermitteln.
Rechtsruck allerorten
Aktuelle Umfragen belegen einen steten Anstieg derer, die sich einen „starken Führer“ wünschen, also eine „eine autoritäre Herrschaftsform“, wie die Frankfurter Rundschau unlängst berichtete. Gleichzeitig sinke die „Zahl der Gegnerinnen und Gegner eines solchen Regimes“. Auch in der „Mitte-Studie“ der Friedrich Ebert Stiftung wurde eine Zunahme rechtsextremen Gedankenguts festgestellt. In der jüngsten Studie von 2022/23 stieg die Zahl der Menschen mit „manifestem rechtsextremem Weltbild“ auf 8,3 Prozent, der Graubereich auf 20,1 Prozent. In den vier vorangegangenen Studien lag das rechtsextreme Weltbild im Mittel bei 2,4 Prozent, der Graubereich im Mittel bei 14,3 Prozent. Weiterhin befürworteten 6,6 Prozent der Befragten eine rechtsgerichtete Diktatur mit starkem Führer und einer einzigen starken Partei – eine Verdreifachung im Vergleich zur vorigen Studie von 2021.
Auch andere große Studien, wie die Leipziger Autoritarismusstudie der Heinrich Böll Stiftung kommen zu ähnlichen Erkenntnissen. Die Sozialpsychologin und Co-Autorin der Studie, Fiona Kalkstein, betont aber im Interview mit dem Onlinemagazin „choices“ auch: „Solche Tendenzen sind natürlich nicht angeboren.“ Daher denke sie, „dass wir eine demokratische Kultur in allen gesellschaftlichen Institutionen brauchen – und das von klein auf.“
#IchStehAuf soll ein Zeichen setzen – und verstetigen
Um hier tätig zu werden, sind die Schulen ein wichtiges Schlüsselelement. Wenn es nicht gelingt, den Kindern und Jugendlichen demokratische Werte und positive Demokratieerfahrungen zu vermitteln, sieht die Zukunft düster aus. Hier setzt auch die Robert Bosch Stiftung zusammen mit der Heidehof Stiftung an. Unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten wird am 6. Juni ein bundesweiter Aktionstag unter dem Titel #IchStehAuf ausgerichtet.
Dabei werden die Schüler*innen selber aktiv: geplant sind zahlreiche Aktivitäten wie etwa „Fotoaktionen und Malwettbewerbe“, „Kunstausstellungen und Theateraufführungen“ oder die Präsentation selbstgeschriebener Songs. Für den Aktionstag haben sich bereits über 300.000 Schüler*innen aller Klassenstufen und Schularten an über 1.600 Schulen angemeldet. Ziel sei es, das Demokratiebewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu stärken.
Begleitet wird die Aktion mit kostenfreien Unterrichtsmaterialien und weiteren Angeboten für die Lehrkräfte. Neben zahlreichen weiteren Partnern sind auch der Cornelsen Schulbuchverlag oder der Ernst Klett Verlag an der Initiative beteiligt. „Das System Schule steht in einer besonderen Verantwortung“, betont Maximilian Schulyok, Geschäftsführer beim Ernst Klett Verlag in einer Mitteilung des Hauses. „Sie ist zentraler Eckpfeiler, wenn es darum geht, den Schülerinnen und Schülern die Begeisterung und das Verständnis für das demokratische System vorzuleben. Die Demokratiebildung zu unterstützen ist unser täglicher Auftrag.“
Die auf dem Deutschen Schulportal abrufbaren Materialien und Angebote sollen „Schulen auch über den Aktionstag hinaus dabei unterstützen, das Demokratiebewusstsein von Kindern und Jugendlichen zu stärken“, so die Robert Bosch Stiftung. Darunter auch eine ganze Reihe von Praxistipps zum Thema Demokratiebildung. Ein entscheidender Faktor: so gut und wichtig Aktionstage sind – sie bringen wenig, wenn ihre Anliegen nicht verstetigt werden. Denn Demokratie bedeutet auch immer Arbeit, sie ist kompliziert und ein stetiger Prozess von Kompromissen und Verhandlungen. Allzu leicht haben es da die Rattenfänger vom rechten Rand, die einfache Scheinlösungen präsentieren und dabei verschweigen, dass sie damit das soziale Miteinander, die Freiheit des Einzelnen und die Vielfalt der Meinungen abschaffen wollen.
„Viele Kinder und Jugendliche“ seien „verunsichert durch Extremismus, Krieg, Leid und Not sowie die Spaltung der Gesellschaft durch Hass, Desinformation und Ausgrenzung“, sagt auch Dr. Bernhard Straub, Geschäftsführer der Robert Bosch Stiftung. Umso wichtiger ist es, zu vermitteln, dass das Rezept dagegen eine starke Demokratie ist – und nicht der Populismus.
Quellen:
Initiative #IchStehAuf: ichstehauf.org
Deutsches Schulportal: deutsches-schulportal.de/schulkultur/ichstehauf-schulen-fuer-demokratie-und-vielfalt/
Robert Bosch Stiftung, PM vom 03.06.2024: www.presseportal.de/pm/100848/5792297
Cornelsen Verlag: www.cornelsen.de/ueber-uns/ichstehauf
Ernst Klett Verlag: ernst-klett-verlag.de/pressemitteilungen/75-jahre-demokratie-und-vielfalt-ichstehauf/
Frankfurter Rundschau: „Neue Studie enthüllt: Steigendes Verlangen nach einem autoritären Führer“: www.fr.de/politik/studie-verlangen-autoritarismus-faschismus-deutschland-frankreich-italien-eu-wahl-92896516.html
Deutschlandfunk: „Immer mehr Rechtsextreme in Deutschland“: www.deutschlandfunk.de/rechtsextremismus-mitte-studie-rechtsextrem-weltbild-100.html
Choices: Interview – Sozialpsychologin Fiona Kalkstein über Autoritarismus und Demokratiefeindlichkeit: www.choices.de/solche-tendenzen-sind-nicht-angeboren-thema-0224
04.06.2024