(ps) Der Fachkräftemangel macht natürlich auch nicht vor den Mediziner*innen halt – seit über 20 Jahren sind zunehmen lauter werdende Stimmen hörbar, die vor dem Ärztemangel warnen, und auf dem Land ist das Problem mancherorts schon deutlich spürbar. Das hat zum einen etwas mit der Demographie zu tun – die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre, die sogenannten Boomer, gehen derzeit in Rente. Laut Bundesärztekammer waren 2022 von allen niedergelassenen Ärzt*innen 41 Prozent 60 Jahre oder älter, 9 Prozent waren über 65 Jahre alt. Das Problem wird sich also in den kommenden Jahren noch merklich verschärfen.
Zum anderen nämlich gibt es zu wenig Nachwuchs. Der Anteil aller Ärzt*innen, also nicht nur der niedergelassenen Hausärzt*innen, lag laut Statista 2022 bei 18,8 Prozent – also weniger als die Hälfte der bald verrenteten Ärtz*innen. Damit ist zwar der Tiefpunkt, der um 2005 mit gut 15 Prozent erreicht war, überwunden – allerdings lag der Anteil 1995 mal bei 24,8 Prozent und früher noch höher. Problematisch ist weiterhin, dass das Leben als Hausärzt*in offenbar an Attraktivität verloren hat. Die Arbeit im Krankenhaus oder als Facharzt zieht seit Jahren immer mehr Menschen an. So lag 1980 der Anteil der Hausärzt*innen an der Gesamtzahl der Ärzteschaft bei satten 65 Prozent. 1990 waren es 60 Prozent, 2000 nur noch 52,2 Prozent, seit 2005 unter 50 Prozent, und 2022 lag der Wert bei lediglich 44 Prozent.
Besonders deutlich spürbar wird der Ärztemangel, vor allem der Hausärztemangel, auf dem Land. Hierfür werden verschiedene Gründe ins Feld geführt. Zum einen wurde die Infrastruktur auf dem Lande vielerorts kaputtgespart – man denke an geschlossene Dorfschulen, stillgelegte Bus- und Bahnanbindungen, schlechte Mobilfunkabdeckung oder in jüngerer Zeit den auch politisch verschlafenen Glasfaserausbau. Kein Wunder, wenn die langzeitregierende Bundeskanzlerin Merkel noch 2013 befindet: „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Zum anderen ist die Arbeitsbelastung für Landärzt*innen – infolge der seit Jahrzehnten schrumpfenden Zahl der Arztpraxen – heute oft höher, da sie vergleichsweise mehr Patient*innen behandeln müssen.
Land in Sicht
Mittelfristig könnte sich die Situation auf dem Land jedoch zum Besseren wenden. Auch hierfür gibt es verschiedene Gründe: so ist das Stadtleben teuer wie nie, der Wohnraum knapp und die Mieten explodieren. Schon heute gibt es eine „neue Landlust“, wie der DLF schreibt – und die Städte verlieren durch Umzüge aufs Land so viele Menschen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. „Zugang zu Natur, mehr Fläche, ein Garten. Hinzu kommt die Vorstellung davon, »in etwas Eigenem zu leben« – für die Altersvorsorge, weil es dem »sozialen Status entspreche« oder weil man »so großgeworden« ist“ – so fasst der DLF die Gründe jenseits der Kostenfrage zusammen. Mit dem wachsenden Interesse am Landleben lohnen sich aber auch Investitionen in die Infrastruktur wieder mehr, denn jede Gemeinde möchte natürlich ein Stück vom Kuchen bekommen.
Und auch politisch tut sich was. Für die Hausärzt*innen, und vor allem die Landärzt*innen, sind schon seit einiger Zeit verschiedene gesetzliche Regelungen angepasst und gelockert worden, es gibt verschiedene Förderungsmaßnahmen, und jüngst hat Gesundheitsminister Lauterbach angekündigt, die bisherigen Honorarobergrenzen für Hausärzt*innen aufzuheben. Ferner gibt es, speziell um schon die Studierenden für das Landarztleben zu begeistern, auch Projekte wie etwa „Localhero“, bei dem Studierende die Möglichkeit bekommen, für eine Woche in einer Landarztpraxis mitzuarbeiten – eine Maßnahme, die sich über bestes Feedback freuen kann und zudem dazu führt, dass nicht selten auch nach der Teilnahme die Kooperation weiterbesteht. „Die Studierenden sind jedes Mal von der Woche begeistert und berichten aus der Praxis sowie von den Kreisen nur Gutes“, berichtet etwa Projektbetreuer Dr. Lucas Bisplinghoff in einer Mitteilung der Uni Witten/Herdecke.
Mehr Studienplätze sind unvermeidlich
Auch wenn die Landlust gegenüber dem Stadtfrust an Attraktivität gewinnt, ist ohne Investitionen in mehr Medizin-Studienplätze das Gesamtproblem nicht zu bewältigen. Und grundsätzlich ist die Nachfrage nach dem Medizinstudium auch deutlich höher, als am Ende Plätze vergeben werden. Mithin ist der NC heute immer noch meistens bei 1,0. Der NC wird aber nicht so gesetzt, weil nur ein*e Einser-Abiturient*in auch eine gute Ärzt*in wird – er liegt allein deshalb so hoch, weil der Studiengang so beliebt ist und eine entsprechend hohe Zugangshürde benötigt wird, um die Flut der Bewerbungen unter Kontrolle zu halten. Hier sind seitens der Universitäten und der verantwortlichen Länder also verstärkte Investitionen unvermeidlich, wenn das Gesundheitssystem auch langfristig noch eine gute Versorgung gewährleisten soll.
Quellen:
Bundesärtzekammer: Ergebnisse der Ärztestatistik zum 31.12.2022: www.bundesaerztekammer.de/baek/ueber-uns/aerztestatistik/2022
Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung: Pressemitteilung 05.12.2022: Wanderungsverluste der Städte erreichen das hohe Niveau der 1990er Jahre: www.bib.bund.de/DE/Presse/Mitteilungen/2022/2022-12-05-Wanderungsverluste-der-Staedte-erreichen-das-hohe-Niveau-der-1990er-Jahre.html
Bundesministerium für Gesundheit: Landärzte: www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/l/landaerzte
DLF: Gehört der Provinz die Zukunft?: www.deutschlandfunk.de/stadtflucht-landleben-binnenwanderung-100.html
Informationsdienst Wissenschaft (idw): Pressemitteilung 21.02.2024: Studierende der Uni Witten/Herdecke testen das Leben als Landärzt:innen: idw-online.de/de/news828969
KBV - Kassenärztliche Bundesvereinigung: Dem deutschen Gesundheitswesen gehen die Ärzte aus!: www.kbv.de/html/5751.php
Sozialpolitik aktuell: Struktur der Ärzteschaft 2022: www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Gesundheitswesen/Datensammlung/PDF-Dateien/abbVI22a.pdf
Statista: Anteil der unter 35-jährigen Ärzte an allen berufstätigen Ärzten in Deutschland in den Jahren 1995 bis 2022: de.statista.com/statistik/daten/studie/158855/umfrage/anteil-der-unter-35-jaehrigen-aerzte-seit-1995/
Tagesspiegel: Die Kanzlerin und das Internet: https://www.tagesspiegel.de/politik/merkels-neuland-wird-zur-lachnummer-im-netz-4403470.html
21.02.2024