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Wissenschaft und Politik

Trendstudie „Jugend in Deutschland“ 2024

Rechtsruck und Zukunftsangst

Bild von Freepik

Die 6. große Trendstudie über die Jugend in Deutschland ist erschienen – und bietet keine guten Neuigkeiten. Unter den Jugendlichen macht sich Pessimismus und Zukunftsangst breit, und die rechtsextreme AfD wird bei der „Sonntagsfrage“ stärkste Kraft.

 

(ps) Jugendforscher Simon Schnetzer, Studienleiter der Trendstudie, zeigt sich in der ARD ernüchtert: nach einem wenig verwunderlichen Einbruch der Stimmung während der Corona-Pandemie habe man gehofft, dass es nun wieder aufwärts gehe. „Doch tatsächlich verschlechtern sich sämtliche Werte in der persönlichen Zufriedenheit, mit Blick auf die Zukunft, aber auch, was die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Deutschland angeht“, so Schnetzer. Zu den größten Ängsten zählen Inflation, Krieg und knapper Wohnraum, aber auch die Rente und die Flüchtlingssituation.

Für die in Kooperation mit Kilian Hampel von der Universität Konstanz und Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Hertie School Berlin konzipierte repräsentative Studie wurde über 3.000 Menschen befragt. Wir werfen einen Blick auf einige der Ergebnisse:

Die größten Sorgen

Befragt nach den größten Sorgen geben die befragten jungen Menschen zwischen 14 und 29 Jahren mit 65 Prozent am häufigsten die Inflation an – zum zweiten Mal in Folge die größte Sorge der jungen Menschen. Im Jahr 2022 lag trieb diese Sorge nur 46 Prozent der Befragten um. 48 Prozent haben zudem Angst vor einer Wirtschaftskrise, ein Wert, der 2022 noch bei 39 Prozent lag.

Am zweithäufigsten werden „Krieg in Europa und Nahost“ mit 60 Prozent genannt, „teurer / knapper Wohnraum“ treibt 54 Prozent um.

Mit 49 Prozent beinahe die Hälfte der Befragten sorgen sich um die „Spaltung der Gesellschaft“, ein Anstieg um 9 Prozentpunkte im Vergleich zu 2022. 44 Prozent besorgt auch das „Erstarken rechtsextremer Parteien“ (2023: 32%).

Der Klimawandel ist dagegen im Vergleich zu den letzten Erhebungen eher in den Hintergrund gerückt: zwar machen sich auch heute 49 Prozent der Befragten Sorgen, 2023 waren es aber noch 52 Prozent und 2022 sogar 55 Prozent.

Einen großen Aspekt stellt die Altersabsicherung dar und hier gab es ebenfalls einen starken Anstieg: 48 Prozent sorgen sich vor „Altersarmut“ – das waren 2023 nur 40 Prozent und 2022 nur 36 Prozent. Hinzu kommt die Sorge um den „Zusammenbruch des Rentensystems“ mit 44 Prozent (2022: 32%).

Rechtsruck

Es ist ein bekanntes Phänomen, dass wirtschaftliche Unsicherheiten und insbesondere Inflation zu einem Erstarken der politisch extremen Ränder führt. So hat der Bielefelder Konfliktforscher Prof. Andreas Zick zu Beginn der großen Inflation 2022 gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) geäußert: „Andauernde Inflationen sind eine enorme Herausforderung, weil sie unter Umständen zu massiven gesellschaftlichen Konflikten führen“. Die „Mitte“-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigte 2023 ebenfalls einen merklichen Rechtsruck auf. Dieser ist bei der traditionell eher links bis grün eingestellten Jugend nun auch angekommen: bei der Sonntagsfrage – was würdest Du wählen, wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre – kommt die AfD auf 22 Prozent und belegt damit den Spitzenplatz.

Die Regierungsparteien sind stark abgeschlagen: etwa die Grünen sind von Platz 1 im Jahr 2022 mit 27 Prozent auf den dritten Platz 2024 mit 18 Prozent gefallen – noch hinter der CDU, die mit 22 Prozent den zweiten Platz belegt. Die SPD kommt lediglich auf 12 Prozent (2022: 14%; 2023: 16%) und die FPD auf magere 8 Prozent (2022: 19%; 2023: 14%). Die Partei „Die Linke“ steht bei 7 Prozent, das Bündnis Sarah Wagenknecht bei 5 Prozent – damit kommen diese beiden linken Parteien zusammen auf lediglich 12 Prozent, und selbst gemeinsam mit der SPD liegt das linke Spektrum nur 2 Prozent über der AfD allein.

Neben dieser Veränderung im parteipolitischen Spektrum ist auch die Zustimmung zu rechtspopulistischen Aussagen bedenklich hoch. Der Aussage: „Der Staat kümmert sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche“ stimmen 30 Prozent „voll und ganz zu“, weitere 21 Prozent stimmen „eher zu“. Lediglich 11 Prozent stimmen „überhaupt nicht zu“ und 13 Prozent „eher nicht zu“. Somit stimmen 51 Prozent der Befragten dieser inhaltlich völlig haltlosen populistischen Behauptung ganz oder eher zu, wohingegen nur 24 Prozent sie als Populismus erkennen.

Ähnlich steht es mit der Aussage „In Deutschland darf man nichts Schlechtes über Ausländer sagen, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“. Hier stimmen 29 Prozent „voll und ganz zu“, 24 Prozent „eher zu“ – also insgesamt 53 Prozent – aber nur 9 Prozent „überhaupt nicht“ und 13 Prozent „eher nicht zu“. Der verschwörungsmythischen Behauptung „Die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit“ stimmen immer noch 19 bzw. 21 Prozent ganz oder eher zu, wohingegen nur 13 bzw. 16 Prozent diese Behauptung überhaupt nicht oder eher nicht als richtig bewerten. Insgesamt lasse sich laut Studienautoren „eindeutig festhalten: Das Potenzial für rechte, rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen in der jungen Generation scheint in den letzten fünf Jahren insbesondere aufgrund von Wohlstandseinbußen und der gestiegenen Angst vor Zuwanderung größer geworden zu sein.

Schulsystem muss sich ändern

Mit Blick auf das Schulsystem kommt die Studie ebenfalls zu einem ernüchternden Ergebnis: „Die Frage ist nicht, ob sich das Schulsystem verändern muss, sondern wie.“ Die Aufgabe sei es, Angesichts der „Veränderungen durch die Digitalisierung, künstliche Intelligenz und in der Arbeitswelt“ sowohl relevant für Schüler*innen, als auch attraktiv für gute Lehrkräfte zu bleiben.

Das Schulsystem, welches sich im Kern seit dem Mittelalter kaum verändert hat, steht im 21. Jahrhundert vor großen Herausforderungen. Das betrifft aus Sicht der Schüler*innen nicht zuletzt den Fächerkanon, der sich seit dem frühen 20. Jahrhundert weitgehend nicht mehr verändert, sondern lediglich etwas ausdifferenziert hat. „Mehr Lehrer, weniger unwichtige Fächer“ heißt es von Schüler*innen-Seite, ebenso werden „Fächer, die Aufgaben des realen Lebens beinhalten“ gefordert, sowie „mehr Praxisbezug und weniger unnötiges Wissen“.

Der Lehrkräftemangel fällt ebenfalls negativ auf. So gehört zu den Forderungen „mehr Lehrkräfte für weniger Unterrichtsausfall“, an anderer Stelle heiße es: „Wir haben kaum Lehrer und die meisten sind Quereinsteiger!“

Faule Generation Z?

Die grundsätzliche Arbeits- und Leistungsbereitschaft der Jugendlichen ist aber, entgegen mancher anderslautender Behauptungen, durchaus gegeben. „Die Studie zeigt deutlich, dass der Mythos einer faulen Jugend falsch ist“, so die Darstellung Schnetzers. Zwar seien die „Wünsche in der Arbeitswelt [...] überwiegend gleich“, doch die jungen Menschen zögen „die Grenzen ihrer Leistungsbereitschaft anders und sorgen damit vielfach bei den etablierten Berufstätigen für Unverständnis“.

Mit Blick auf die Arbeitswelt ist den Jugendlichen eine „gute Arbeitsatmosphäre“ (64%) am wichtigsten, gefolgt von einer „guten Balance von Arbeit und Freizeit“, auch bekannt als ‚work-life-balance‘ (56%). Ebenfalls wichtig ist die „Sicherheit des Arbeitsplatzes“ und „gute Vorgesetzte“.

Ein „hohes Einkommen“ kommt bei der Frage danach, wie wichtig der Aspekt bei einem (zukünftigen) Beruf ist, erst auf Platz 5. Allerdings hat „Geld“ (51%) seit 2021 „Spaß“ (41%) als größten Motivationsfaktor abgelöst. „Anders als früher sprechen junge Menschen heute über Geld, was in Kombination mit ihrem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Gerechtigkeit dazu beiträgt, dass sie deutlich sensibler und fordernder in Bezug auf ihre Konditionen gegenüber Arbeitgebern auftreten.“ Dennoch bleibt Spaß an der Arbeit weiterhin so wichtig wie zuvor: „junge Menschen wünschen sich ein gutes Team, keinen Stress, respektvollen Umgang und angemessene Konditionen. Wir sehen dabei, dass es weniger auf Humor ankommt und viel mehr auf Arbeitsbedingungen, bei denen junge Menschen sich wohlfühlen.“

Dies zeigt auch einen Generationswechsel an: im beruflichen Bereich tritt die Jugend „mit klaren Vorstellungen an veränderte Arbeitsbedingungen“ an und stellt „viele von älteren Generationen etablierte Ansätze in Frage“.

Lichtblick: Azubis

Unter den allgemein eher düsteren Bewertungen stellen die Azubis einen Lichtblick dar: 78 Prozent sind zufrieden mit ihrer Entscheidung für eine Ausbildung und 71 Prozent haben bei ihrer Ausbildung Spaß. 84 Prozent sind sich sicher, die Ausbildung abzuschließen und 83 Prozent sehen mit ihrer Ausbildung gute berufliche Chancen.

Als eher problematisch werten die Azubis die Ausbildungsvergütung – lediglich 52 Prozent sind damit zufrieden. Das ist zugleich eine Mahnung an die Arbeitgebenden, denn „der am häufigsten genannte Grund junger Menschen für eine Ausbildung ist die Möglichkeit, direkt nach der Schule Geld zu verdienen und unabhängig den eigenen Lebensunterhalt finanzieren zu können.“ Neben mehr Geld fordern die Azubis modernisierte Ausbildungsinhalte, mehr Berufsschullehrer*innen und nicht zuletzt „mehr Aufklärung über Ausbildungsberufe in den Schulen.“


Quellen:
Trendstudie „Jugend in Deutschland“ 2024: simon-schnetzer.com/trendstudie-jugend-in-deutschland-2024/

ARD: Tagesschau: „So pessimistisch wie noch nie“: www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/studie-jugend-100.html

Friedrich-Ebert-Stiftung: Mitte-Studie 2023: www.fes.de/referat-demokratie-gesellschaft-und-innovation/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie-2023

RND: „Konfliktforscher warnt vor Gefahren durch hohe Inflation“: https://www.rnd.de/politik/auswirkungen-hoher-inflation-konfliktforscher-ueber-nachlassende-wahlbeteiligung-proteste-SSBIBWGE7JADHI3RAHQETFKHNI.html

 

30.04.2024

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