(ps) Der Fachkräftemangel ist ein Thema, das sich seit Jahren hält und auch auf absehbare Zeit nicht verschwinden wird. Entsprechend genau wird beobachtet, welche Karrierewege sich die nachrückenden Generationen aussuchen – auf welche Schulen sie gehen, ob sie studieren oder eine Ausbildung machen. Das Statistische Bundesamt hat nun anlässlich seines 75. Geburtstages einen Überblick über die Schulabschlüsse sowie Azubi- und Studierendenzahlen veröffentlicht, der die ganze bundesrepublikanische Geschichte abdeckt. Dabei werden faszinierende Entwicklungen deutlich.
Schulbesuch im Wandel
Früher war der Hauptschulabschluss noch ein anerkannter Allerweltsabschluss: 1960 besuchten knapp 62 Prozent der Schüler*innen (in der BRD) diese Schulform – lediglich 24,6 Prozent besuchten ein Gymnasium. In den folgenden Jahrzehnten haben die Bundesländer zahllose Schulreformen durchgeführt, das Schulsystem insgesamt wurde durchlässiger, und „das traditionelle dreigliedrige Schulsystem [wurde] um neue Schularten wie Gesamtschulen und andere Schularten mit mehreren Bildungsgängen erweitert, was sich in einer deutlich veränderten Schullandschaft niederschlägt“, wie das Statistische Bundesamt schreibt.
In dieser „veränderten Schullandschaft“ wurde die Hauptschule allerdings abgehängt: In den vergangenen 60 Jahren sankt der Anteil der Hauptschüler*innen von über 61,9 auf sage und schreibe 6,4 Prozent im Jahr 2021. Das ist ein Rückgang um annähernd 90 Prozent. In einigen Bundesländern wurde die Hauptschule inzwischen sogar ganz abgeschafft. Im selben Zeitraum stieg die Gymnasiast*innen-Quote von 24,6 Prozent auf glatte 44 Prozent im Jahr 2021. Damit stellt das Gymnasium unter den weiterführenden Schulen den mit Abstand größten Schüler*innen-Anteil. Wie das Statistikportal Statista dokumentiert, gab es im Schuljahr 2022/23 knapp 2,28 Millionen Gymnasiast*innen. Auf Platz 2 folgen die Integrierten Gesamtschulen, die mit 1,13 Millionen also schon über eine Million weniger Schüler*innen haben. Realschulen werden von lediglich gut 768.000 Schüler*innen besucht, an Hauptschulen finden sich nur noch 367.000 Schüler*innen.
Privatisierte Bildung
Gleichzeitig werden Privatschulen immer attraktiver: Fast 10 Prozent der Schüler*innen besuchten 2021 eine Privatschule, 1950 lag der Anteil bei 1,9 Prozent. Auch die Zahl der Privatschulen ist gewachsen: 1950 gab es 741 Privatschulen, 2021 waren es 3.757 – Tendenz steigend. Damit wird die Bildung in Deutschland immer weiter privatisiert und noch mehr als bisher vom ökonomischen Status der Eltern abhängig. Analoge Entwicklungen zeigen sich mithin auch im Universitätsbereich: Während im Studienjahr 2000/01 lediglich gut 24.000 Studierende an privaten Hochschulen studierten, sind es gut zwanzig Jahre später, 2021/22, über 342.000 Studierende (Statista).
Immer mehr Studierende
Auch insgesamt nimmt die Zahl der Studierenden und Studienberechtigten zu. So sei die „Studienberechtigtenquote von 6,1 % im Jahr 1960 auf 46,8 % im Jahr 2020 gestiegen“. Über Jahrzehnte hinweg gab es immer deutlich mehr Auszubildende als Studierende. Dieser Trend kehrte sich erst 1989/90 um. 1989 gab es letztmalig mehr Auszubildende, damals waren es 1,552 Millionen Azubis und 1,504 Millionen Studierende. Bis etwa 2007/08 blieben die Zahlen noch relativ dicht beieinander, seither geht die Schere jedoch merklich auf. Zu den „auffälligsten Veränderungen“ zähle laut Statistischem Bundesamt die Entwicklung der Frauenquote unter den Studierenden. Diese sei von 18,5 Prozent im Jahre 1950 auf 52,4 Prozent im Jahre 2021 gestiegen.
Immer weniger Azubis
Mit Blick auf die Schulverteilung früherer Jahre überrascht es nicht, dass auch die Azubizahlen damals höher lagen. Dennoch ist der Wandel beeindruckend: 1950 kamen auf zehn Studierende sagenhafte 75,5 Auszubildende. Für den historischen Kontext: Trotz dieser Ausbildungsquote haben die Arbeitskräfte damals nicht gereicht – 1955 kamen die ersten Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland, um den Arbeitskräftemangel zu beheben. Nur neun Jahre später kam bereits der einmillionste Gastarbeiter, der Portugiese Armando Rodrigues, hier an. Und heute? Auf zehn Studierende kommen 2021 lediglich 4,3 Auszubildende. Mit diesen Zahlen wird der Fachkräftemangel in Handwerk und Industrie deutlich. Damit ist in diesem Vergleich die Zahl der Azubis, die zehn Studierenden gegenüberstehen, um über 94 Prozent eingebrochen.
Diese Entwicklung ist aber keineswegs das Ergebnis der betrachteten langen Zeiträume. Wie das Statistische Bundesamt berichtet, stiegen die Ausbildungszahlen in den ersten Jahrzehnten der BRD kontinuierlich: „von 970.900 im Jahr 1950 auf 1.831.500 im Jahr 1985. Seit diesem historischen Höchststand ist sie überwiegend rückläufig.“ Tatsächlich sank dann die Zahl der Auszubildenden zwischen 1985 und 2021 um fast ein Drittel. Im Jahr 2021 befanden sich 31,5 Prozent weniger Azubis in einer dualen Ausbildung als 1985, und 14 Prozent weniger als 2011 – der Trend ist also weiterhin aktuell. Analog sinkt ferner die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge: 2021 haben gut 466.000 Menschen einen Neuvertrag unterzeichnet, 16,9 Prozent weniger als zehn Jahre zuvor. Das Statistische Bundesamt betont, dass sich dies „nur teilweise mit dem Rückgang der Zahl junger Menschen“ erklären ließe – diese sank demographisch bedingt „im selben Zeitraum lediglich um 6 %“.
Hoffen auf Abi-Azubis?
Nachdem das Gymnasium, jedenfalls den Schüler*innen-Zahlen nach, zur neuen Volksschule geworden ist, stellt sich die Frage, ob die dann wirklich alle studieren. Natürlich war das noch nie der Fall, aber aktuelle Zahlen der Bertelsmann-Stiftung geben hier Anlass zumindest für ein bisschen Hoffnung: Die Zahl der Abiturient*innen, die sich für eine Berufsausbildung entscheiden, sei deutlich angestiegen. „In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil derer, die mit Abitur eine duale oder schulische Ausbildung beginnen, von 35 Prozent im Jahr 2011 auf 47,4 Prozent im Jahr 2021 gestiegen“, teilt die Stiftung mit. Dieter Dohmen, Direktor des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie und Autor der Bertelsmann-Studie, betont: Weder „von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturient*innen“, noch von mangelndem Interesse selbiger an beruflichen Ausbildungen könne die Rede sein.
Nichtsdestotrotz können auch die Abiturient*innen den Einbruch bei den Ausbildungszahlen und -neuverträgen nicht ausgleichen. Zumal parallel mindestens genauso laut geklagt wird, dass es zu wenige Studierende gäbe, vor allem in den MINT-Fächern. Da hier keine kurzfristigen Lösungen zu erwarten sind, bedeutet das vor allem für die ausbildenden Betriebe heute und in Zukunft, die eigene Sichtbarkeit und Attraktivität zu erhöhen. Wem es nicht gelingt, sich auf die Erwartungen der neuen Generation(en) einzustellen, wird auf absehbare Zeit existentielle Probleme bekommen. Die aktuelle Jugend, die Generation Z, wird zwar gerne als faul und freizeitorientiert gescholten – doch es hilft nichts, es gibt keine andere Jugend. Abwarten und auf die nächste Generation hoffen ist also eher keine Lösung.
Quellen:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_N036_12.html
https://www.presseportal.de/pm/39474/5534742
22.06.2023