vocatium magazin

Unterricht und Schule

Vom Nutzen der Bücher

Lesen will gelernt sein!

Frau mit Buch. Bild von Racool_studio auf Freepik.

Die Menschen in Deutschland lesen immer weniger. Dabei hat das Lesen nur Vorteile: es fördert Empathie, reduziert Streß und kann sogar das Leben verlängern! Auch als Mittel gegen antidemokratische Einstellungen kann es dienen.

 

(ps) Das Lesen gehört zu den zentralen kulturellen Leistungen des Menschseins. Mit der Erfindung des Buchdrucks 1440 trat das Buch seinen unaufhaltsamen Siegeszug an. Mit Aufkommen der Tageszeitungen, deren erste ab 1650 in Leipzig erschien, begann eine neue Blütezeit des Lesens; Bücher und Zeitungen waren bald überall. Es wurde so viel gelesen, dass im 18. Jahrhundert sogar eine Debatte über die sogenannte „Lesesucht“ entbrannte. Und viele der berühmtesten Autor*innen Deutschlands waren ebenfalls Kinder des 18. Jahrhunderts, etwa Schiller, Goethe, Heine, Hölderlin, die Arnims, Brentano oder Droste-Hülshoff.

Und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren die Schriftsteller*innen auch in den gesellschaftlichen Debatten wichtige Wortführer. Man denke an Günter Grass, Heinrich Böll, Christa Wolf, Herta Müller oder May Ayim. Doch die große Zeit des Lesens, so scheint es, ist inzwischen vorbei. Zwar gibt es auch gegenläufige Trends – etwa auf der Plattform TikTok gibt es die „BookTok“ genannte Sparte, mit der Bücher und Buchempfehlungen ein Multimillionenpublikum erreichen. Doch insgesamt wird das Lesen zunehmend durch moderne mediale Inhalte ersetzt – ironischerweise durch Plattformen wie TikTok, allgemein durch soziale Medien, aber auch durch die Flut von Filmen, Serien und Shows, die, von YouTube bis Netflix, um die Aufmerksamkeit der Menschen buhlen.

Erst jüngst wurden hier neue Zahlen veröffentlicht: laut Statistischem Bundesamt (Destatis) verbringen die Menschen in Deutschland im Schnitt lediglich 27 Minuten mit Lesen – mit Fernsehen dagegen gut 2 Stunden. Der Fachverband Bitkom teilt zudem mit, dass am Smartphone im Schnitt 2,5 Stunden täglich verbracht werden. Da sieht das Lesen buchstäblich alt aus. Dabei hat das Lesen, anders als seine digitale Konkurrenz, eine Reihe von positiven Effekten auf die Leser*innen. Seitens der Forschung wird dringend anempfohlen, schon im kindlichen Alter mit dem Vorlesen zu beginnen und das Lesen von Büchern über die ganze Schulzeit hinweg kontinuierlich zu fördern.

Vom Nutzen des Lesens
 

Die positiven Effekte des Lesens sind vielfältig. Ganz grundsätzlich und allgemein bekannt verbessert das Lesen den Wortschatz und die Ausdrucksfähigkeit, erweitert das Allgemeinwissen und fördert die Kreativität. Daneben gibt es aber noch einige teilweise etwas weniger bekannte Effekte.

Susanne Lux, Vorsitzende der IG Leseförderung, betonte bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Frankfurter Buchmesse: „Lesen ist die Grundlage von allem“, wie das Börsenblatt berichtet. Zentral sei dabei die Entwicklung von Empathie, weshalb man auch im jungen Alter, am besten schon in der KiTa, den Zugang zum (Vor-)Lesen fördern sollte. Dies bestätigen auch experimentelle Forschungen zum Thema: etwa 2013 zeigte ein Studie auf, dass das Lesen literarischer Texte Empathie und Verständnis des Gegenüber merklich verbessere.

Bob Blume betonte auf derselben Veranstaltung, dass das Lesen auch demokratiefördernd sei: die Alternativen „Kommunikation und Gewalt“ stünden sich gegenüber, und wo Kommunikation ende, beginne die Gewalt. Und hier komme eben auch das Lesen ins Spiel. So sei Leseförderung gerade in unseren unruhigen Zeiten sehr wichtig.

Eine Studie der University of Sussex hat weiterhin ergeben, dass das Lesen von Büchern im Vergleich mit anderen Entspannungstechniken am besten abschneidet. So führe Lesen zu einer Streßreduktion von 68 Prozent – Musik hören erreicht 61 Prozent, Spazierengehen 42 Prozent und Videospiele spielen reduziere das Streßlevel lediglich um 21 Prozent. Der Studienleiter, Neuropsychologe Dr. David Lewis, betont: „Lesen ist mehr als nur eine Ablenkung, sondern ein aktives Einbeziehen der Vorstellungskraft, da die Worte auf der Buchseite die Kreativität stimulieren und die Leser*innen in einen veränderten Bewußtseinszustand versetzen.“ Lesen verursache eine Reihe neurobiologischer Reaktionen, die dazu führen, dass das Angstzentrum im Gehirn sich beruhigt.

Nicht zuletzt hat eine groß angelegte Studie der US-amerikanischen Universität Yale mit über 3.600 Studienteilnehmer*innen gezeigt, dass regelmäßiges lesen auch die Lebenserwartung erhöht – im Durchschnitt um etwa 2 Jahre. Gelegentliche Leser*innen (bis 3,5 Stunden pro Woche) hatten ein um 17 Prozent verringertes Sterberisiko, Vielleser*innen (über 3,5 Stunden pro Woche) sogar 23 Prozent. Für die Auswertung der Daten wurden sekundäre Faktoren, die ebenfalls Einfluß auf die Lebenserwartung haben, wie Geschlecht, Bildung, Wohlstand usw. berücksichtigt bzw. „herausgerechnet“. Die Studie wurde über einen Zeitraum von 12 Jahren mit Menschen über 50 durchgeführt und die Forscher*innen zeigen sich überzeugt, hier tatsächlich eine Korrelation von Lebenserwartung und Leseverhalten aufgezeigt zu haben.

Lesen an der Schule
 

Folglich gibt es viele gute Gründe, an der Schule das Lesen verstärkt zu fördern. Insbesondere Streßreduktion und Empathieförderung sind hier besonders hervorzuheben. Beides wirkt sich nicht nur positiv auf das einzelne Individuum aus, sondern kann auch dazu beitragen, das soziale Miteinander an den Schulen zu verbessern.

Natürlich wird schnell der Ruf nach staatlichen Fördergeldern und mehr Deutschlehrer*innen laut. Doch die Leseförderung muss keineswegs am Deutschunterricht bzw. den Deutschlehrkräften hängen bleiben. Fächer wie Geschichte, Philosophie und Religion, die Fremdsprachen sowie eine Reihe von bundeslandspezifischen Fächern wie Gesellschafts-/Gemeinschaftskunde, Wirtschaft/Politik und ihre inhaltlichen Geschwister (die je nach Bundesland anders getauft wurden) eignen sich sehr gut, um parallel zum regulären Lehrplan auch das Bücherlesen zu fördern.

Beispielsweise in Geschichte könnte Anne Franks Tagebuch gelesen werden, während der Nationalsozialismus Thema ist, Bücher wie Wittgensteins Nashorn von Françoise Armengaud oder Die Schule der Egoisten von Éric-Emmanuel Schmitt im Philosophieunterricht, oder auch Die Welle von Morton Rhue im Politikunterricht.

Ferner empfiehlt es sich, auch außerhalb des benoteten Unterrichtskontextes die Schüler*innen zum Lesen zu animieren, bspw. durch Lese-AGs oder Lesekreise. Denn das Lesen sollte nicht nur als schulische, benotete Unterrichtspflicht wahrgenommen werden, sondern auch und eigentlich insbesondere als sinnvolle und schöne Freizeitbeschäftigung.

Weiterhin gibt es im Internet eine Vielzahl von Hilfestellungen für Lehrkräfte, wie das Lesen an der Schule gefördert werden kann.

Weitere Informationen:

www.lesefoerderung.de/schule/

www.schule-bw.de/themen-und-impulse/ideenpool-lesen

www.cornelsen.de/magazin/beitraege/lesen-lohnt-sich

 

Quellen:

Forschung:

Avni Bavishi et al.: „A Chapter a Day – Association of Book Reading with Longevity“, in: Social Science & Medicine, Volume 164, September 2016, S. 44-48; online: doi.org/10.1016/j.socscimed.2016.07.014

David Comer Kidd, Emanuele Castano: „Reading Literary Fiction Improves Theory of Mind“, in: Science, Vol 342, Issue 6156, 3 Oct 2013, S. 377-380; online: doi.org/10.1126/science.1239918

Weitere Quellen:

Bitkom: Presseinformation „Das Smartphone wird im Schnitt 2,5 Stunden pro Tag genutzt“, 19.03.2024; online: www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Durchschnittliche-Smartphone-Nutzung-pro-Tag

Börsenblatt: Matthias Glatthor: „Susanne Lux: ‚Lesen ist die Grundlage von allem‘“, 18.10.2024; online: www.boersenblatt.net/home/susanne-lux-lesen-ist-die-grundlage-von-allem-349107

Destatis: PM Nr. 42 vom 15.10.2024: „Menschen in Deutschland lesen im Schnitt 27 Minuten am Tag“; online: www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2024/PD24_42_p002.html

Newcastle University blog: „Reading Reduces Stress. Fact.“, 19.01.2023; online: blogs.ncl.ac.uk/medlit/2023/01/19/reading-reduces-stress-fact/
 

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