(ps) Die sogenannte "Ehrenrunde" ist unter Pädagog*innen in Forschung und Praxis seit langem umstritten. Die Schüler*innen werden aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, in ein neues Umfeld gezwungen, in dem sie als Lernversager*innen erscheinen, werden bzw. bleiben demotiviert und erhalten weiterhin keine gezielte Förderung. Befürworter*innen halten dagegen das Abschaffen der Ehrenrunde für "leistungsfeindlich und lebensfern" und sehen darin vielmehr "eine Chance zur Konsolidierung einer individuellen Schullaufbahn."
Entsprechend ist auch die politische Haltung geteilt – mancherorts wurde das Wiederholen von Klassen ganz abgeschafft und auf freiwillige Basis gestellt, etwa in Bremen oder Hamburg, und in Schleswig-Holstein ist es nur bei den Übergängen von der sechsten in die siebte und von der neunten in die zehnte Klasse möglich. Beispielsweise in Bayern ist die Ehrenrunde dagegen erst 2022 wieder bestätigt worden, obwohl Bayern zu den Spitzenreitern unter den Ländern mit den meisten Wiederholenden gehört.
Die Bildungsforschung ist unterdessen mehrheitlich davon überzeugt, dass eine Ehrenrunde nicht sinnvoll ist. "Es gibt kaum ein wissenschaftliches Indiz dafür, dass das Wiederholen den Schülern etwas bringt," so Ingmar Hosenfeld, Professor für Bildungsforschung an der Uni Koblenz-Landau gegenüber Spiegel-Online. Vielmehr zeige sich, dass die Schüler*innen dann in der nächsten Klassenstufe dennoch hinterherhängen. Außerdem koste es den*die Schüler*in ein ganzes Jahr ihrer Biographie – "für eine Maßnahme, die wissenschaftlich gesehen bestenfalls nicht schadet."
Die Debatte um das Für und Wider der Ehrenrunde wird vermutlich so schnell kein Ende finden. Einstweilen weisen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes Mecklenburg-Vorpommern für das Schuljahr 2021/22 als Bundesland mit den meisten Wiederholenden aus, ganze 5 Prozent. Das ist knapp doppelt so viel wie der Bundesdurchschnitt (2,4%). Auf Platz 2 liegt Sachsen-Anhalt mit 3,4 Prozent, gefolgt von Bayern mit 3,3 Prozent. Ingesamt haben 8 Prozent mehr Schüler*innen eine Klasse wiederholt als im Schuljahr 2019/20 (im Schuljahr 2020/21 galten besondere Regelungen aufgrund der Pandemie). Unter den Schüler*innen wiederholten 2,8 Prozent eine Klasse, unter den Schülerinnen 2,1 Prozent.
Quellen:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_N005_21.html
https://www.tagesspiegel.de/wissen/warum-sitzenbleiben-sinnvoll-ist-3819514.html
https://www.deutschlandfunk.de/lernforscher-sitzenbleiben-loest-selten-probleme-100.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/bayern-haelt-am-sitzenbleiben-fest-100.html
31.01.2023