Unterricht und Schule

Schule der Zukunft in Sachsen

Mehr Lebensbezug – weniger pauken

Die Tatsache, dass grundlegende Schulreformen dringend nötig sind, steht außer Frage – nur das „wie“ ist umstritten. In Sachsen wird nun ein Anfang gemacht und eine Schulreform mit 64 Maßnahmen vorgelegt.

 

(ps) In ihren Grundstrukturen hat sich die Schule seit dem Mittelalter kaum verändert: Es gibt Schulfächer, jedes Schulfach hat seine eigenen, unabhängigen Inhalte, vorne steht die Lehrkraft, die Schüler*innen hören zu (im Idealfall), schreiben mit, lernen auswendig legen Prüfungen ab und bekommen am Ende ihr Abschlusszeugnis (auch im Idealfall). Natürlich gab es seither zahllose Reförmchen: eine ganze Reihe an Fächern kam hinzu, die Inhalte wurden erweitert, die Didaktik wurde modernisiert, usw. usf. Im Kern aber ist die Grundidee gleich geblieben.

In der digitalisierten, globalisierten Welt von heute stößt dieses Konzept jedoch an Grenzen: zum einen sind die Lehrpläne inzwischen völlig überfüllt, zum anderen werden heutzutage andere Kompetenzen benötigt als noch vor einer Generation und davor. Dies wurde in Sachsen erkannt: „An Sachsens Schulen sollen künftig stärker Zukunftskompetenzen vermittelt werden und weniger Faktenwissen“, heißt es in einer Mitteilung des Kultusministeriums. Insgesamt 16 „strategische Ziele“ mit 64 Maßnahmen wurden vorgestellt, die bis 2030 den Weg für eine zukunftsfeste Schule ebnen sollen. Dabei steht selbstorganisiertes Lernen, fächerübergreifende Inhalte und „vernetzes Denken“ im Mittelpunkt.

„Die globalisierte Welt, die Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch die Gesellschaft insgesamt entwickeln sich sehr dynamisch. Unsere Schulen müssen Schülerinnen und Schüler heute auf die Welt von morgen vorbereiten“, betonte Kultusminister Christian Piwarz. An der inhaltlichen Entwicklung des Konzepts „Bildungsland Sachsen 2030“ waren – durchaus nicht immer üblich – alle betroffenen Gruppen beteiligt: „Experten aus der Wissenschaft, Lehrkräfte, Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern“ und „Vertreter der kommunalen Schulträger“.

Mehr Kompetenzen, weniger Faktenwissen

Schultraditionalisten wird dieser Aspekt möglicherweise am meisten verwundern: weniger Faktenwissen an Schulen? Wo soll das hinführen? Piwarz erläutert: „Es nützt nichts, Dinge nur zu wissen, Schüler müssen das Wissen auch anwenden können.“ In Zeiten, in denen Faktenwissen in sekundenschnelle online nachgeschlagen werden kann – und es, siehe Lehrplanüberfüllung, ungleich viel mehr Fakten zu lernen gibt als noch vor 50 oder 100 Jahren – sei es wichtiger zu lernen, wie „neues Wissen selbstständig zu erwerben“ ist.

Auch der „Lebensweltbezug“ der Inhalte solle vergrößert werden – eine Forderung, die schon seit geraumer Zeit aus der Wissenschaft kommt und jüngst etwa von Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), im Zuge des MINT Nachwuchsbarometers 2024 bekräftigt wurde.

Ausgewogene Digitalisierung

Digitalisierung an Schulen ist nicht erst seit Corona ein heiß debattiertes Thema – hier ist Deutschland im europäischen Vergleich spät dran, so spät, dass etwa in Schweden schon wieder zurückgerudert wird, weil man dort die Nachteile der Digitalisierung im Unterricht erkannt hat. In Sachsen soll die Digitalisierung nun unter dem „Primat der Pädagogik“ vorangetrieben werden – und „eine gute Mischung aus analogen und digitalen Lehr- und Lernmethoden zum Einsatz kommen“. Mit dabei sind Konzepte für „digital gestütztes Selbstlernen“, was also ebenfalls die selbstständige Wissensaneignung fördert.

Mehr Mitbestimmung und Schülermitwirkung

Ein für die Schüler*innen besonders interessanter Aspekt dürfte die Mitbestimmung und Mitwirkung „im Schultag und bei der Unterrichtsgestaltung“ sein. Hier wurden Teile der Vorschläge der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung berücksichtigt. Damit soll nicht nur die Schule bzw. der Unterricht auf die Schüler*innen zugehen, sondern auch das Lernziel der Demokratiebildung gefördert werden: jede Schulklasse soll einen „Klassenrat“ bilden, für dessen Arbeit fachfreie Unterrichtsstunden ausgewiesen werden. So können die Schüler*innen zur „gemeinsamen Unterrichtsgestaltung“ beitragen und zugleich demokratische Prozesse erlernen und Selbstwirksamkeit erleben.

Umsetzung beginnt 2025

Der Fahrplan steht: das Schuljahr 2024/25 soll „als Übergangsjahr genutzt [werden], um die Umsetzung im Sächsischen Staatsministerium für Kultus sowie im Landesamt für Schule und Bildung systematisch vorzubereiten bzw. zu initiieren.“ Danach soll es dann richtig losgehen.

Das sächsische Konzept ist in der Form deutschlandweit einzigartig und wird überwiegend positiv aufgenommen. „In den Vorschlägen finden sich viele Maßnahmen, die wir seit längerem fordern“, äußert Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW Sachsen gegenüber der Leipziger Zeitung. Man begrüße die geplante Klassenratsstunde ebenso wie die Betonung der Kompetenzentwicklung und auch die „Strategie zum digitalen Lernen“. Allerdings bedürfe es weiterer Maßnahmen, um die Lehrkräfte zu entlasten und die Schulen, die nun deutlich mehr Eigenverantwortung erhalten sollen, zu unterstützen. Auch die Finanzierung wird von manchen kritisch betrachtet. Substantielle Kritik, die das Konzept als solches infrage stellt ist unterdessen nicht zu vernehmen. Trotz einiger Hürden, die bei der Umsetzung genommen werden müssen, scheinen die positiven Impulse zu überwiegen. Es wird also in den kommenden Jahren spannend an den sächsischen Schulen.

Alle Details sind auf dem Server des Kultusministeriums zu finden: www.bildungsland2030.sachsen.de/finale-strategie-3976.html


Quellen:

Sachsen.de: Kultusminister stellt Plan für Schule der Zukunft vor: www.bildung.sachsen.de/blog/index.php/2024/05/16/plan-fuer-schule-der-zukunft/

Sachsen.de: W wie Werte: politische.bildung.sachsen.de/download/Br_Werte_barrierefrei.pdf

Deutsche Kinder- und Jugendstiftung: Konzept für gute politische Bildung (2017): www.dkjs.de/aktuell/meldung/news/konzept-fuer-gute-politische-bildung/

 

21.05.2024

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