(ps) Das kölnische Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Lage des Ausbildungsmarktes mit Blick auf Schüler- und Einsteiger*innen analysiert. Die nun vorgestellten Ergebnisse sind allerdings alles andere als erfreulich. Das beginnt bereits bei den Ausbildungszahlen selbst: Die Summe der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist von 2007 zu 2021 um knapp 140.000 auf nunmehr 706.000 gesunken. Dabei betrifft der Verlust die dualen Ausbildungen, bei den schulischen Ausbildungen konnte ein leichtes Plus verzeichnet werden.
Mehr Abiturient*innen bewerben sich für Ausbildungen
Der positive Aspekt zuerst: Die Zahl der Abiturient*innen, die nach dem Schulabschluss eine Ausbildung anstreben, wächst. Nach dem in den vergangenen zwanzig Jahren ein beachtlicher Anstieg der Abiturient*innen und parallel auch der Studierenden verzeichnet wurde, gab es seitens der Politik Sorgen vor einer "Überakademisierung" der Gesellschaft. Bereits vor einigen Jahren haben sich Wirtschaft und Politik in der "Allianz für Aus- und Weiterbildung" zusammengeschlossen, um mehr Abiturient*innen zu motivieren, Ausbildungen anzufangen. Offenbar erfolgreich: Laut der nun vorgelegten Zahlen nahmen 47,4 Prozent des Abiturjahrgangs 2021 eine Ausbildung auf – etwa 12 Prozent mehr, als noch vor zehn Jahren.
Angesichts dieser Zahlen weisen die Forscher*innen Befürchtungen vor einer "Überakademisierung" klar von sich. "Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturient*innen kann keine Rede sein", sagt Dr. Dieter Dohmen, Direktor des FiBS und leitender Autor der Studie in der Pressemitteilung von Bertelsmann. "Und auch nicht davon, dass sich Abiturient*innen zu wenig für berufliche Ausbildungen interessieren würden." Vielmehr führt die steigende Abiturientenzahl dazu, dass der Konkurrenzdruck auf Real- und Hauptschüler*innen auf dem Ausbildungsmarkt immer weiter zunimmt.
Hauptschüler*innen weiter abgehängt
Während die politischen Ziele für die Gymnasien also auf einem guten Weg sind, hat sich die Lage an den Hauptschulen weiter verschlechtert. "Immer weniger Schulabgänger*innen mit Hauptschulabschluss gelingt die Aufnahme einer Ausbildung", schreiben die Studienautor*innen. So habe sich in den Jahren 2011 bis 2021 die Zahl derer, die nach der Schule einen Ausbildungsplatz finden, um ein Fünftel verringert. Dabei sei vor allem die Zahl derer, die eine duale Ausbildung beginnen, "deutlich gesunken". Clemens Wieland, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung, mahnt, dass "Menschen mit niedriger Schulbildung [...] besonders gefährdet [sind], keinen Berufsabschluss zu erzielen. Trotz vieler unbesetzter Ausbildungsstellen bleibt laut Statistik mehr als ein Drittel der Personen mit Hauptschulabschluss zwischen 20 und 34 Jahren ohne Ausbildung."
Bereits vor einigen Jahren sagte Elke Hannack, stellvertretende Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), gegenüber dem Tagesspiegel: "In der bundesweiten Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammern bleiben fast zwei von drei Angeboten Hauptschülern von vornherein verschlossen." Das Problem ist bekannt. In einer Studie des FiBS von 2021 speziell über benachteiligte Jugendliche haben die Forscher*innen ebenfalls angemahnt, dass es dem Schulsystem nicht gelinge, "diesen Jugendlichen zur Entfaltung ihrer Potenziale zu verhelfen", so der damals ebenfalls beteiligte Dieter Dohmen gegenüber der SZ. Damit ergibt sich trotz wachsenden Bedarfs und zahlreicher unbesetzter Ausbildungsstellen eine wachsende Zahl arbeitsloser Jugendlicher.
Perspektivlos: Zahl der NEETs steigt
Insgesamt steigt auch die Zahl der sogenannten "NEETs" – ein Akronym aus dem Englischen für "Not in Employment, Education or Training", also nicht in Arbeit, Schule/Weiterbildung oder Ausbildung. "2021 wurden in der Gruppe der 15 bis 24-Jährigen 630.000 Personen zu den NEETs gezählt, im Jahr 2019 waren es noch 492.000", so die Studienautor*innen. "Die Entwicklung ist dramatisch", sagt Dieter Dohmen. "Viel zu viele Jugendliche gehen auf dem Ausbildungsmarkt leer aus oder fallen ganz aus dem System. Wir müssen die Integrationsfähigkeit des Ausbildungssystems wieder deutlich erhöhen."
Ausbildungsgarantie? Ein "Lichtblick"
Bertelsmann und das FiBS sehen gleichermaßen die sog. "Ausbildungsgarantie" als einen "Lichtblick am bildungspolitischen Horizont". Clemens Wieland: "Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie, die wirklich jedem jungen Menschen eine Ausbildungschance gibt und die auch individuelle Begleitung und Unterstützung beinhaltet, um den Abschluss zu erreichen." Die bislang politisch debattierte Ausgestaltung würde allerdings nicht ausreichen. Derweil steige der Handlungsdruck: "Verkürzt ausgedrückt: Weniger Beschäftigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte bei gleichzeitig steigenden Qualifikationsanforderungen führt zu düsteren Perspektiven für Jugendliche mit niedriger Schulbildung."
Quellen:
https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/mehr-abiturienten-als-hauptschuler-3821479.html
https://www.sueddeutsche.de/politik/ausbildung-studie-benachteiligung-1.5241841
26.01.2023